Ueber die Verhaeltnisse
mitgekommen.
»Was hast du denn?« fragt sie in jenem übersensiblen Freundinnenton und tätschelt Melas Arm, aber die läßt auch das ohne jegliche sentimentale Regung über sich ergehen und schüttelt nur abweisend den Kopf. Als dann die Fische kommen, stark duftende gegrillte Brassen auf Minzeblättern und feingesäbelten Zitronenscheiben, und dazu große Schüsseln voller Salat, bewundert Mela zwar noch im Gleichklang mit Borisch das gelungene Arrangement, aber dann schluckt sie immer trockener, als sammle sich Ungeahntes in ihrem Mund, bis sie plötzlich und radikal die Nahrungsaufnahme einstellt.
»Es geht nicht mehr«, sagt sie gewissermaßen leichthin, damit ja niemand Verdacht schöpfen solle, und so, als habe sie schon viel zuviel zu sich genommen. »Es geht einfach nicht mehr, Punktum«, und ihr Gesichtsausdruck vermittelt durchaus so etwas wie einen höchsten Grad von Sättigung.
Borisch weiß nicht, ob sie ihr zureden soll. So wie sie dreinschaut, wohl besser nicht, und der jüngere Heyn zückt vorsorglich das hilfreiche Schächtelchen mit den Kohletabletten, das er, wie er behauptet, immer bei sich trage, wenn er mit Erstbesuchern der Stadt zum Essen gehe. Wenn man ein bißchen empfindlich sei, könne einen schon was erwischen.
»Bist du empfindlich?« fragt Borisch, als komme ihr dieser Gedanke nach all den Jahren zum ersten Mal.
Mela zuckt gleichmütig die Schultern, greift aber dann doch nach dem Schächtelchen. »Wie viele?« fragt sie ziemlich beiläufig.
»Mindestens zwei«, erwidert der jüngere Heyn mit einer leichten Oberkörperverbeugung. Mela schluckt verächtlich und spült Mineralwasser nach. Da reißt es sie plötzlich vomStuhl, und sie taumelt mit vorgehaltener Hand hinaus. Borisch läuft geistesgegenwärtig hinterher und steht dann hilflos da vor der geschlossenen Tür, durch die Geräusche von Melas Elend dringen. Und die kann und kann nicht aufhören zu speien, als wäre alles in dieser Stadt Verzehrte noch in ihr.
Mit leisem Ekel, aber von Mitleid erfüllt, sucht Borisch nach einem sauberen Taschentuch, und als Mela dann endlich zum Waschbecken wankt, wischt Borisch ihr die von den Tränen der Anstrengung zerflossene Wimperntusche weg.
»Oje«, sagt der jüngere Heyn, als er Melas grün verblaßtes Gesicht sieht, »also doch empfindlich. Da hilft nur eines …« Aber vorderhand sagt er nicht, was, sondern verfrachtet sie wortlos in ein Taxi, zuvor drückt er Borisch noch ebenso wortlos einen Nylonsack in die Hand. Für alle Fälle, sagt sein Blick, dann setzt er sich neben den Fahrer.
Und Mela ist ein einziges Ansichhalten, obwohl sie eigentlich gar nichts mehr speien kann, trotzdem, der Reiz ist übermächtig und schüttelt sie. Und vor lauter Elendsein schließt sie die längste Zeit die Augen.
»Ich bin mit dem Minister in die Schule gegangen« – die Rede ist von Melas jungem Mann –, »doch dann haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren, wenn auch nie so ganz, und neulich hat er mich wieder angerufen«, sagt der Konsul, der es sich nicht hat nehmen lassen, mit einem dem privaten Besuch am Krankenlager angemessenen Sträußchen zu erscheinen. Mela zupft das weiße Spitalshemd zurecht, zum Glück stützen sie die Kissen, und sie braucht den Kopf nicht frei zu halten.
Auch dem Konsul hat man nicht mehr gesagt, als daß die Untersuchungen fortgesetzt würden. Noch habe man nichts Konkretes gefunden, keine Amöben, aber Tatsache sei, daßdie Patientin nichts bei sich behalten könne. Wenn diese Art von Nausea nicht zurückgehen sollte, müsse man irgendwann daran denken, sie künstlich zu ernähren.
Mela ist hellwach, und ein wenig erinnert der Konsul sie an die ministeriellen Stammgäste des SPANFERKELS. Sie ist überzeugt, daß bei längerem Nachfragen noch eine Reihe anderer gemeinsamer Bekannter aus der Erinnerung auftauchen würden, und irgendwie fühlt sie sich bei dem Gedanken besser. Es handle sich im Augenblick ja nicht gerade um eine erfreuliche Amtsperiode, sagt der Konsul, er beneide den ehemaligen Schulkollegen keineswegs. Doch würden all die unangenehmen Nachrichten, bis sie hier ankämen, viel an Brisanz verloren haben. »Um es ehrlich zu sagen«, meint der Konsul, »die Leute hier haben andere Sorgen. Man überschätzt sich oft. Im Grunde müssen wir froh sein, wenn man uns nicht mit Australien verwechselt. Und das selbst hier, wo wir eine Schule und ein Spital betreiben. Wir sind zu sehr geschrumpft, um noch ernsthaft in Erwägung gezogen zu
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