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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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losgelassen, und sie habe es sehr bedauert, daß sie ihm, Ayhan, nicht sofort davon erzählen oder ihm die Frau womöglich noch zeigen habe können.
    Ayhan streckte die Hand aus – so groß war sein Verlangen,Frô zu berühren, ihre Wange, ihr Haar, hielt aber auf halbem Weg in der Bewegung inne, es war vor allem der Ort, der ihm diese Zurückhaltung auferlegte. Ein Restaurant in der Art des Ostens, mit hölzerner Galerie und Innentreppe, die Lamperiebretter noch im russischen Stil geschnitzt. Frô war die einzige anwesende Frau und dadurch geheimes Zentrum, der unwiderrufliche Punkt, an dem streunende Wünsche und geheuchelte Anstoßnahme sich kreuzten. Obgleich niemand sie zu beachten schien, lastete aller Aufmerksamkeit schwer wie der fette Rauch der frischen Schwarzmeertabake auf ihr, und Ayhan wußte, daß jede Berührung, das geringste zur Schau gestellte Zeichen von Zärtlichkeit unverhüllte Aggression hervorrufen würde.
    Frô nahm es als Spiel, als raffiniertes Spiel. Ob sie sich je wirklich daran gewöhnen würde? Noch spielte sie es vorzüglich, das Spiel der Beherrschung. Besser als er, was er fast ein wenig bedauerte, und er spürte, wie sich die Liebe schmerzhaft in ihm zusammenkrampfte.
    Männer, dachte er, nichts als Männer. Und nie noch hatte er sein eigenes Geschlecht dermaßen in Frage gestellt. Eine momentane beängstigende Vision zeigte ihm eine auf einer kupfernen Platte angerichtete Frau, um die sich all die hellhörigen, blickwütigen Bartträger mit Messer und Gabel in Händen scharten. Er verscheuchte das Bild zusammen mit einer Fliege, die sich auf Frôs Teller gesetzt hatte. Wenigstens so viel konnte er für sie tun. Ansonsten hatten sie nur ihre Blicke, sekundenweise. Auch darin hatte Frô bereits Meisterschaft erlangt. Sie sandte ihm von Zeit zu Zeit einen Funken, der im Aufflackern schon wieder erlosch, zu schnell, als daß die von ihren dicken Hammelragouts oder von ihren Spielbrettern Aufschauenden ihn hätten bemerken können.Nur in ihm setzte der Funke wiederum Begehren in Brand. Und es verlangte ihn danach, diesem gelehrigen Kind alles beizubringen, es zur vollkommenen Komplizin zu machen, zur Komplizin in den geheimsten Dingen von Leib und Seele, selbst auf die Gefahr hin, sich ihr dadurch zur Gänze auszuliefern. Aber selbst wenn sie ihn eines Tages verraten würde – und diese Möglichkeit mußte immer offenbleiben –, würde dieser Verrat weit über das hinausgehen, was Menschen gemeinhin miteinander zu schaffen haben.
    Während sie dann ihr Döner Kebab aßen – der Koch hatte das an den Rändern des sich drehenden Spießes schneller bräunende Fleisch in zarten Streifen abgesäbelt und es auf Fächerkartoffeln angerichtet –, sah Ayhan Frô für einen Augenblick als Bergdohle übers Hochland fliegen, während er zum Kahn der Winde wurde, um sie einzuholen. Und als er zufällig unter den Tisch schaute, bemerkte er, daß sie tatsächlich rote Schuhe trug.
    »Ich werde noch ungefähr zwei Tage hier zu tun haben«, sagte Ayhan, »versprich mir, daß du dich nicht langweilst.« Frô lächelte beschwichtigend. »Und daß du dich nicht in Gefahr begibst.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß, was ich tue.«
    »Du mußt vorsichtig sein. Man könnte auf die Idee kommen, dich zu entführen.«
    Frô schaute ihn herausfordernd an. »So wie du mich entführt hast, meinst du das?« Ayhan lachte.
    »Wir können dann gleich von hier aus nach Istanbul fliegen.« Frôs Gesicht verschattete und sie fing an, ein Stück Brot zu kneten. Ayhan sah ihr eine Weile zu, dann meinte er: »Sie ist deine Mutter. Wir werden sie gewiß besänftigen.«

    Nicht der Chef, sondern der junge Mann ist am Apparat, als kurz vor Mitternacht das Telefon auf Melas Nachttisch läutet. Er klingt irgendwie gekränkt, als er die heimischen Zustände rapportiert. Die beiden Lager, sagt er, was sich aus seinem Mund ohnehin gestelzt anhört, hätten damit begonnen, sich gegenseitig alles, aber auch wirklich alles in die Schuhe zu schieben. Undanks, sagt er, sei der faulige Bodensatz der Vergangenheit aufgewirbelt worden, von dem er gedacht habe, er sei längst weggesickert. Mitnichten.
    Die Reaktion spritze wie eine Erdölfontäne hoch, die anderen witterten einen nie dagewesenen Boom, während die Unsrigen erst einmal vergattert hätten werden müssen, damit sie wußten, wo stehen. Denn leider gebe es auch unter den Unsrigen genug, die die Vergangenheit jederzeit einholen könne, und diese Art Zugeständnis rührt

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