Ueber die Verhaeltnisse
hierarchischen Schwarm bilden, wobei einer aus dem anderen zu kommen scheint, eine zurückgespulte Nahrungskette, und die Übergangsstellen sind euphemistisch mit Petersilie und Lorbeer überdeckt. Während in der nächsten Auslage drei Spieße mit Fleisch- und Gemüsestücken, zeltförmig aneinandergelehnt, sich in der blanken schwarzen Haut der sich vorwölbenden, reifen Auberginen spiegeln. Und in kleinen gläsernen Vitrinen stehen Schüsselchen voll verschiedenfarbener Cremes und Reispuddings, auf deren Oberfläche mit grünen Pistazien- oder gelben Haselnußsplittern achtzackige Doppelsterne ausgelegt sind.
Lange Zeit – all die Zeit, die Borisch und der jüngere Heyn, die sich, ins Gespräch vertieft, ziemlich weit entfernt haben, brauchen, um sie wiederzufinden – steht Mela hinter einemetwa achtjährigen Kind, das einen kleinen Glaskasten mit Kürbiskernen vor sich stehen hat. Darin liegt ein Schäufelchen, mit dem es die Kerne in Papiersäckchen füllt, die alle mit einer bestimmten Knickfalte geschlossen werden. Dann aber, als ihm die Säckchen ausgegangen sind, beginnt es auf dem Glaskasten mit Kernen zu zeichnen, ein Haus, die Sonne, einen ausladenden Baum und dann plötzlich Wolken, aus denen Kerne herniederregnen.
In der am Bosporus gelegenen Festung Rumeli Hissari erzählt der jüngere Heyn der unerbittlichen Borisch, wie Mehmet der Eroberer seine Schiffe durch eine hölzerne Rinne und über Nacht ins Goldene Hörn habe rutschen lassen, worauf Mela, die wieder einmal nicht aufgepaßt hat, sich plötzlich vernehmen läßt: »Das nennt man eine Schiffschaukel und keine Wasserrutsche.«
Borisch schüttelt nur resignierend den Kopf, und der jüngere Heyn fährt fort mit der Beschreibung des jährlichen Theater-Festivals und daß man innerhalb dieser Mauern gelegentlich den Hamlet gebe, auf türkisch natürlich und mit einem sehr beeindruckenden Gespenst, während unten tutend die Bosporus-Schiffe vorbeiführen. Allerdings falle manchmal der Strom aus, aber das Publikum sei so diszipliniert, daß es diese unfreiwilligen Pausen höchstens zu einem Picknick nütze. Wenn das Licht wieder angehe, sehe man lauter friedlich Essende auf ihren Plätzen, und nur einige seien immer noch damit beschäftigt, den mitgebrachten Holzkohlensamowar aufzuheizen, wobei das bißchen Rauch, das dabei entstehe, gut für dänische Nebelschwaden gehalten werden könne.
Mela erspäht eine Gruppe von Leuten, die zum Tor der Festung hereindrängt und sich dann lachend auseinanderzufalten beginnt. Da kommt ihr vor, daß sie jemanden gesehenhabe. Mit einer Plötzlichkeit, die selbst Borisch, die sie so lange kennt, ihr nicht zugetraut hätte, klappert sie die steinernen Treppen hinunter, doch als sich die Person, die sie erkannt zu haben glaubt, umdreht, ist es eine Wildfremde, die Melas Blick durch Haar und Frisur getäuscht hat.
Und Mela bleibt stehen, wie zu Stein geworden, die Hand noch gehoben zu einem hilflosen Winken, das in der Luft stehengeblieben ist. Und die einzige Bewegung, die sie macht, bis Borisch und der jüngere Heyn mit ihrem Rundgang zu Ende sind und ihr folgen, ist, daß sie irgendwann diese Hand sinken läßt.
Sie essen in einem Fisch-Restaurant am Bosporus, auf einer Art Holzveranda, mit Blick auf die Befestigungsanlage der asiatischen Seite. »Mein Bruder«, sagt der jüngere Heyn, »ist zum Lernen immer auf die gegenüberliegende Seite gefahren. Und dann hat er sich von einer Zigeunerin aus der Hand lesen lassen, ob er die Prüfung bestehen werde. Sagte sie ja, ging er ins Schwimmbad. Sagte sie nein, setzte er sich in eins der Teehäuser und wiederholte alles so lange, bis er es auswendig konnte. Dabei wippte er im selben Rhythmus wie die Koranschüler mit Kopf und Oberkörper, und wenn ältere Türken vorbeikamen, sagten sie ›Maşallah!‹, was soviel wie ›Gott, wie schön‹ bedeutet.«
Mela reagiert nicht, obgleich Borisch und der jüngere Heyn sie unwillkürlich von der Seite her anschauen. Sie kommt den beiden die längste Zeit schon apathisch vor. Borisch faßt sie genauer ins Auge und findet, daß Mela wieder einmal zum Friseur gehörte. Sie vernachlässigt sich, denkt Borisch, und es befällt sie so was wie schlechtes Gewissen – sogenanntes Seelenbohren, wie es in ihrer Muttersprache heißt –, denn im Übereifer der Chancennutzung hat sie Melas depressiveAnwandlungen auf eine – wie sie jetzt meint – zu lockere Art bagatellisiert. Schließlich ist sie ja als Beistand
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