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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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schreckerprobter Verkünder.
    Borisch wird ungeduldig. »Du lieber Gott, was sehen Sie denn?«
    »Erraten Sie es nicht?« Christoph Heyn blinzelt sie aufmunternd an. Und da durchschaut Borisch endlich die etwas schwindsüchtige Komödie.
    »Eine Reise …«, sagt sie halblaut.
    »Eine Reise …«, wiederholt der jüngere Heyn bestätigend.
    »Eine weite Reise?« Noch versucht Borisch ein bißchen was von der Spannung zu retten.
    »Wie man es nimmt. Eine längere Reise von hier nach dort.«
    »Für wie viele Personen?« Enttäuscht fügt Borisch sich in den vorgegebenen schmalen Rahmen. Der jüngere Heyn zählt angestrengt die Musterstränge zusammen.
    »Vier. Ja, es sind hier vier Reisende eingezeichnet.«
    »Ich dachte, Ihr Bruder ist hier einstweilen noch unabkömmlich?«
    »Ist er auch. Das meinte ich damit, daß er ganz nervös wird. Er muß tatsächlich hierbleiben.«
    »Dann stimmt vier nicht.«
    »Doch.« Der jüngere Heyn macht eine künstliche Pause. »Es handelt sich um meine Wenigkeit.«
    Borisch schaut ihn verdattert an, als könne sie sich ihn außerhalb dieser Stadt gar nicht vorstellen.
    »Ich bin noch immer Staatsbürger. Und ich möchte mir die Schwäineräi« – er traut sich was, Borisch nachzuspotten – »gerne an Ort und Stelle anschauen. Außerdem steht die Wohnung meines Bruders leer, und Osterferien sind auch noch. Sollte ich im Flugzeug neben Ihnen sitzen, bin ich gerne bereit, diesmal beim Start Ihre Hand zu halten.«
    »Sie sind zu vorlaut«, sagt Borisch resolut und klopft dem jüngeren Heyn maßregelnd auf die Finger.

    Es muß sein, das große Abschiedsfest, schon wegen des Überblicks. Kaum daß man hinfindet in die Wohnung des jüngeren Heyn durchs schwer entwirrbare Gassenbabel von Pera, hügelauf – hügelab, allein die Taxifahrt gleicht einemAbsturz in den Limbo. Worauf einen der Lift wieder in den sechsten Stock hochreißt und man von der Terrasse aus einen nie vermuteten Rundblick hat, nicht nur auf die asiatische Seite, sondern auch auf die Sarayspitze und die vielen kleinen Schornsteine der ehemaligen Hohe-Pforte-Küche.
    Und endlich zeigt der jüngere Heyn seine kleine türkische Frau her, ein nymphengestaltiges Geschöpf, das – bereits deutlich erkennbar – schwanger ist.
    Blaß noch und schlank geworden, steht Mela auf der Terrasse, aber anstatt die Aussicht zu genießen und sich alles noch einmal einzuprägen, dessen Borisch nicht müde wird, schaut sie durch die gläserne Tür ins Innere der Wohnung, wo auf einem Sofa, das mit mehreren Schichten von Kissen bedeckt ist, ein Schatten von Frau thront, eine, wie es scheint, uralte, im Fleisch schon beinah vergangene, durchsichtige Gestalt mit einem weißen Musselinschal um Kopf und Hals, nur die Augen glimmen wie die Kohlestückchen im Gesicht eines schmelzenden Schneemanns.
    Die Großmutter der jungen Hausfrau, wie es bei der Begrüßung geheißen hat, Ahnin und Penatin zugleich und schon die längste Zeit völlig reglos. Während sie so schaut, passiert etwas für Mela kaum Faßbares, das sie wohl für eine Sinnestäuschung halten würde, wenn Borisch nicht ebenfalls Zeugin geworden wäre.
    Beide sehen sie, wie Frô und Ayhan mit einigen offenbar ebenfalls zur Familie gehörigen jungen Leuten zur Tür hereinkommen und sich alle auf die schon beinah verrauchte Ahne zubewegen. Dann aber beugt Frô sich über die ausgestreckte verschrumpelte Hand der Greisin, küßt sie, drückt den Handrücken gegen ihre Stirn, und alle übrigen türkischen Verwandten tun dasselbe. Diese Geste der Devotion, Sitteund Brauch gewiß, aber immerhin eine auch von Frô ungeniert vollzogene Altenehrung, verschlägt Mela und Borisch kurzfristig den Atem, bis Borisch ihrem noch anhaltenden Baffsein mit dem Satz Luft macht: »No, schlecht ist das? In diesem Land hat das Alter noch seinen Wert!«
    Erst jetzt hat Frô ihre Mutter bemerkt, und auf dem Weg zu ihr läuft sie auch noch in die Arme der türkischen Schwägerin – ist das ein Geküsse und Geschmatze – und streicht der Schwangeren zart über die große Wölbung. »Teufel noch einmal«, entfährt es Mela, und selbst Borisch denkt in diesem Augenblick dasselbe. Mit dem Kinderkriegen wird sich das Kind ja wohl noch Zeit lassen? Dann aber stürzt Frô sich bereits in Melas Arme, mit dieser offenbar im Land hier gewonnenen neuen Leiblichkeit, küßt sie, danach auch noch Borisch und ist von einer an ihr geradezu übertrieben wirkenden Geschmeidigkeit, während Mela sich auf spürbare Weise

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