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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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Rákóczi exiliert war. Noch an die zwanzig Jahre hat er da gelebt, mit kleinem, aber standesgemäßem Hofstaat. Auch soll der Kerl, der die große Kanone gegossen hat, mit der die Muslime ein riesiges Loch in die byzantinische Mauer gebolzt haben, ein Unsriger, Ungarischer gewesen sein; der Teufel soll ihn noch im nachhinein holen.
    Ich stapfe die ganze Stadt ab, mit oder ohne Begleitung, und habe mir einen neuen Plan gekauft, der Deine ist ungemein veraltet. Auch habe ich schon die Hand auf eins dieser käuflichen Schriftbilder gelegt. Hoffentlich gefällt es Dir nachher, es kostet mich nämlich ein Vermögen.
    Übrigens, das Kind ist wieder aufgetaucht, wie zu erwarten war, wenn auch später als gehofft. Der Schwiegersohn ist größer, dunkler und fescher als sein Bruder, der mir aber sympathischer ist. Was der für merkwürdige Geschichten erzählt, nämlich der Bruder. Die eine war von einer gelähmten Prinzessin, wenn ich mich gut erinnere, die täglich von einem Badewaschel geschrubbt und dabei auch entsprechend gestreichelt worden ist. Das hat der Prinzessin sehr gut getan, aber sie hat sich auch geschämt dafür, weil der Badewaschel nicht standesgemäß war, und da hat sie ihn rausgeschmissen. Da aber nie ein Prinz kam, der die gelähmte Prinzessin hätte streicheln wollen, fehlte ihr der Badewaschel immer mehr, und sie ließ eine Anzeige aufgeben. Aber er war entwederschon längst emigriert oder er hatte den Beruf gewechselt. Jedenfalls ist er nicht mehr aufgetaucht, und es blieb ihr, nämlich der Prinzessin, nichts anderes übrig, als ihm ein Leben lang nachzutrauern.
    Wie die Sache sich hier tut, schaut es so aus, als würden wir bald schon heimkehren, mit Frô; Mela läßt nicht locker. Aber auf die Dauer bleibt uns die nicht, das spürt, sieht und riecht man.«
    Und abschließend steht noch der stolzgeblähte Satz: »Über unsere Ankunft wirst du vom Konsulat informiert. Du kannst Dich bereithalten. In Liebe – Borisch.«

    Mela sieht sich vor sich gehen. Es ist eindeutig sie, so wie sie sich vor-, aber auch so, wie sie sich nachgeht. Sie beschleunigt ihren Schritt, um sich einzuholen, aber der Abstand verringert sich nicht. Dabei glaubt sie, auch schon die Landschaft, die sie sehen muß, wenn sie sich vorgeht, zu erblicken, obwohl sie sich gleichzeitig an ihrer eigenen Rückenansicht delektiert, einer schmalen Rückenansicht, die aus ihren jüngeren Jahren stammen muß oder die von Frô ist.
    Auch die Haare sind dunkel. Sie versucht einen Vergleich zu ziehen, aber sie kann sich nicht sehen, wie sie sich nachgeht, nur greifen. Da ist ein schwerer Knoten an ihrem Hinterkopf, mit Kämmen und Spangen aufgesteckt, und erst als sie alle herausgezogen hat, kann sie die Strähnen nach vorn ziehen. Blond. Das ist kein Beweis. Auch sie, die sich vorgeht, nestelt an ihrem Haar. Es wird dunkel, und sie kommen sich näher. Aber nicht nah. Sie hört ihren doppelten Schritt im Kies knirschen, der Rhythmus ist der gleiche, nur um einen Viertelton verschoben, so daß es hallt, nachhallt im Abstand von diesem Viertelton. Es ist die Dunkelheit zwischen zweiHäusern, deren vorkragende Dächer Schatten machen. Es ist eine Schattenpassage.
    Jemand sagt was von Asphodelen, aber es gibt nirgendwo Blumen, es muß ein Irrtum sein. Vielleicht Morellen, ja, Schattenmorellen. Samthäutige Reineclauden, die aus dem Hausschatten wachsen.
    Sie geht vor in den Wald, in die Wildnis. Warum bloß? denkt sie, sich nachgehend. Die Entfernung wächst, und manchmal kann sie nicht so genau sehen, wo sie hingeht. Sie stolpert, stürzt aber nicht, kann sich gerade noch festhalten an einem herunterhängenden Ast.
    Warum nur dieser Wald, warum geht sie sich auf so unwirtlichen Wegen vor? Selbst die Bäume sind so gut wie kahl, als seien sie versteinert, kein Blätterrauschen, nur von Brise zu Brise springender Wind. Sie fängt an zu frösteln, wird ärgerlich. Ihre Zehe ist wund gestoßen, warum der beschwerliche Weg? In die Tiefe des Waldes, warum in die Tiefe? Sie will sich nur einholen, nicht als zwei durch die Welt gehen. Ihr Ärger wächst, will sich Luft machen. Warum hat sie kein Seil, um sich, die sie sich vorgeht, einzufangen?
    Rufen, fällt ihr plötzlich ein, und vor Erleichterung bleibt sie einen Augenblick stehen. Warum ruft sie sich nicht zurück? Sie muß sich doch hören können. Den Namen rufen. Schrecken erfüllt sie, bevor sie noch genau weiß, warum sie so erschrecken muß. Sie weiß den Namen nicht. Wie kann sie sich rufen,

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