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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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schaut! das junge Fleisch und die frischen Gedanken haben ihn süchtig gemacht. Ganz nervös ist er, wenn er an die mögliche Abreise der schönen jungen Frau denkt. Natürlich will er es sich nicht anmerken lassen, dabei verrät er sich schon, wenn er nur die Hand hebt.«
    Borisch massiert diskret ihren Ansatz zum Doppelkinn und schiebt den Unterkiefer ein wenig vor. »In welcher Mission war er denn tatsächlich unterwegs?«
    Der jüngere Heyn zuckt theatralisch mit den Schultern. »Mir wird er es sagen, ausgerechnet mir, der ich mich entschlossen habe, ständig hier zu leben. Er würde mich bereits für einen Spion halten, wenn ich ihn auch nur danach fragte.« Er wippt mit dem Knie, und es ist deutlich, daß er noch nicht alles gesagt hat, was er sagen will. »Aber was wird er schon groß getan haben? Einen Kurdenführer getroffen, der mit einem syrischen Politiker an einen Tisch soll. Ein Waffengeschäft ausgefädelt, das, wenn es aufkäme, zu riskant für die Republik wäre. Mit schiitischen Extremisten über den Austausch von Gefangenen verhandelt oder weiß der Geier. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ein bißchen Vermittlertätigkeit wird sich wohl auch ein kleiner neutraler mitteleuropäischerStaat noch leisten dürfen. Hat er Erfolg damit, steht er in der Welt dick da, und Erlebnisse dieser Art erfreuen die Nation. Und geht die Sache schief, erfährt niemand was davon. Nach Möglichkeit niemand. Denn natürlich versucht man die Peinlichkeit nicht auch noch ruchbar werden zu lassen.«
    »Mein Bruder ist ein Meister der Diskretion, ein geborener oder – wenn man so will – ein begnadeter Schnüffler, der sich das ruhigere der beiden möglichen Länder ausgesucht hat, mit Rücksicht auf die ihm ebenfalls angeborene Vorsicht. Andererseits erreicht er so gut wie immer, was er will. Ich glaube, ich habe seinen Ehrgeiz bereits erwähnt.« Der jüngere Heyn leert den letzten Rest Kaffee in seinen Mund. Ein paar Krümel von dem Satz bleiben an seinen Lippen hängen, und er leckt sie wegen der Bitterkeit mit verzogenem Gesicht ab. Plötzlich stülpt er den Untersatz auf die Tasse und dreht diese blitzartig um. Dann macht er mit Borischs Tasse dasselbe und tupft mit dem Zeigefinger auf den nun nach oben ragenden Boden der Tasse, der angeblich erst auskühlen müsse, bevor man sich ans Wahrsagen machen könne.
    Interessiert hat Borisch ihm zugeschaut und ebenfalls mit dem Finger den noch warmen Tassenboden befühlt. Es würde noch ein paar Minuten dauern, bis das Schicksal sich gezwungenermaßen inspizieren ließe.
    »Was für ein Mensch ist Ihr Bruder denn wirklich?« fragt Borisch und dreht dem jüngeren Heyn das Gesicht zu. Dieser schaut sie dermaßen perplex an, daß sie lachen muß.
    »Mensch ist gut«, setzt der jüngere Heyn dann doch noch zu einer Antwort an. »Ich habe meinen großen Bruder nie als Menschen betrachtet. In meiner Kindheit – wir sind zehn Jahre auseinander – war er eher ein dunkler, mächtiger Gott für mich, dessen Gewalt ich viel stärker zu spüren bekam alsdie unseres Vaters. Und später …«, der jüngere Heyn macht ein pfiffiges Gesicht, »später war er für mich ein Streber, der mir immer vorgehalten wurde, zumindest solange ich in die Schule ging. Und dann … wenn ich ehrlich sein soll, dann war er für mich ein Karrieremacher.«
    Borisch kneift das linke Auge zu, um den jüngeren Heyn mit ihrem rechten, ein wenig weitsichtigen zu mustern. »Nicht gerade schmeichelhaft, was Sie über den Mann sagen. Oder vielleicht doch? Es heißt, Ihr Bruder wird noch Botschafter oder gar Außenminister.«
    Der jüngere Heyn grinst. »Sehen Sie, das meine ich. Ließe sich das von mir etwa sagen? Oder von Ihnen?« Borisch lacht, und die Vorstellung, als Exzellenz oder Frau Botschafter angeredet zu werden, erfüllt sie mit einem aufregenden kleinen Prickeln. Automatisch nimmt sie beim Sitzen eine vornehmere Haltung an und tupft dann mit besonders spitzem Finger auf den Boden der Kaffeetassen.
    »Es ist soweit«, verkündet sie mit rauchiger Stimme, als wäre sie die Sibylle und nicht Christoph Heyn. Dieser streift vorsichtig Borischs Tasse am Untersatz ab und zeigt ihr dann mit prophetischer Miene das filigrane Muster, das der Kaffeesatz in die porzellanene Kuppel gezeichnet hat.
    »Ich sehe«, sagt er im gleichen Tonfall wie jene ausgebufften Professionistinnen, die beim Friseur oder in eigenen Hinterzimmern ihr Wesen treiben, »ich sehe«, er verzieht das Gesicht noch mehr in Richtung

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