Über Gott und die Welt
die mit infi -
nitesimalen Akzentverschiebungen bestimmte Kräfteverhältnisse legitimiert und andere kriminalisiert. Es bildet sich eine Ideologie, und die Macht, die daraus resultiert, wird tatsächlich zu einem Netz von Konsens an der Basis, denn die Kräfteverhältnisse sind zu Symbolverhältnissen umgeformt worden.
Es zeichnet sich also, an diesem Punkt meiner Lektüre so verschiedener Texte, ein Gegensatz zwischen Macht und Kraft ab, der, wie mir scheint, in den Diskursen über die Macht, die heute überall zirkulieren, von den Hochschulen zu den Fabriken und zum Ghetto der Alternativen, ganz verlorengegangen ist.
Wir wissen ja, von 68 bis heute ist die Kritik der Macht und ihre Anfechtung sehr heruntergekommen, gerade weil sie massenhaft geworden ist. Ein unvermeidlicher Prozeß, und wir werden uns hüten zu sagen (im schön reaktionären Brustton), daß ein Konzept zerfällt, sobald es allen zugänglich wird, weshalb es nur wenigen zugänglich bleiben sollte. Im Gegenteil, gerade weil es allen zugänglich werden muß, aber dabei zu degenerieren droht, ist die Kritik seiner Degenerationen so wichtig.
Also: In der Vermassung des politischen Redens über die Macht hat es zwei trübe Phasen gegeben. Eine erste, naive, in der die Macht ein Zentrum hatte (das System als übler Patron mit Schnauzbart, der auf den Tasten eines teufl ischen Elektronengehirns das Verderben der Arbeiterklasse program-mierte). Diese Vorstellung ist zur Genüge kritisiert worden, und Foucaults Revision des Machtbegriffs kam genau in der Absicht, ihre anthropomorphe Naivität zu entlarven. Spuren dieser Begriffsrevision fi nden sich bis hinein in die inneren Widersprüche der diversen terroristischen Gruppen: zwischen denen, die den Staat noch immer »im Herzen« treffen wollen, und denen, die lieber die Maschen der Macht an den Rändern aufdröseln, an jenen »foucaultianischen« Stellen, wo der subversive Gefängniswärter, der kleine Händler, der Taktgeber einer Akkordlohngruppe agieren.
Ambivalenter ist dagegen noch immer die zweite Phase, in der allzu leicht zwischen Kraft und Macht verwechselt wird. Ich spreche von Kraft anstatt, wie es mir spontan kommen würde, von Kausalität, und wir werden gleich sehen, warum. Aber gehen wir erst einmal von einem recht simplen Kausalitätsbegriff aus.
Es gibt Dinge, die andere Dinge verursachen: Der Blitz ver-brennt den Baum, das männliche Glied befruchtet den weiblichen Uterus. Diese Verhältnisse sind nicht reversibel, der Baum kann den Blitz nicht verbrennen, die Frau kann den Mann nicht befruchten. Andererseits gibt es Verhältnisse, in denen jemand kraft einer symbolischen Setzung jemand anderen dazu bringt, etwas zu tun: Der Mann bestimmt, daß die Frau zu Hause den Abwasch macht, die Inquisition legt fest, daß der Häretiker auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, und nimmt sich das Recht zu defi nieren, was Häresie ist. Diese Verhältnisse beruhen auf einer Sprach-Strategie, die, nachdem sie Kräfteverhältnisse als labil erkannt hat, sie durch Symbolsetzungen institutionalisiert und den Konsens der Beherrschten gewinnt. Symbolverhältnisse sind reversibel. Im Prinzip genügt es, daß die Frau zum Mann einfach »nein« sagt, damit er die Teller abwaschen muß, daß die Häretiker den Inquisitor nicht als Autorität anerkennen, damit er verbrannt wird. Natürlich sind die Dinge nicht so einfach, und zwar genau weil der Diskurs, der die Macht symbolisch konstituiert, nicht mit einfachen Kausalitätsverhältnissen rechnen muß, sondern mit komplexen Interaktionen von Kräften. Dennoch ist dies, so scheint mir, der essentielle Unterschied zwischen Macht als symbolischer Setzung und reiner Kausalität: Die erste ist reversibel, an Fragen der Macht entzünden sich Revolutionen, die zweite ist nur contenibel, sie läßt sich eindämmen oder zähmen, und sie gestattet Reformen (ich kann den Blitzableiter erfi nden, die Frau kann beschließen, Verhütungsmittel zu nehmen, keine sexuellen Beziehungen mehr zu haben oder nur noch gleichge-schlechtliche).
Das Unvermögen, zwischen Macht und Kraft zu unterscheiden, führt zu politisch infantilem Verhalten. Die Dinge sind, wie gesagt, nicht so einfach. Ersetzen wir nun den Begriff der Kausalität (die nur in einer Richtung wirkt) durch den der Kraft. Eine Kraft wirkt sich auf eine andere Kraft aus, sie bilden miteinander ein Kräfteparallelogramm. Sie annullieren einander nicht, sie fügen sich nach einem Gesetz zusammen. Das Wechselspiel
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