Über Gott und die Welt
weder reaktionär noch progressiv, sie ist ganz einfach faschistisch; denn Faschismus heißt nicht am Sagen hindern, sondern zum Sagen zwingen.«52
In polemischer Hinsicht ist dies die Behauptung, die von Januar 1977 bis heute die meisten Reaktionen provoziert hat. Alle weiteren, die noch folgen, folgen aus ihr, und so wird es uns nicht überraschen zu hören, daß die Sprache deswegen Macht ist, weil sie uns zwingt, vorgeformte Stereotype zu gebrauchen, darunter bereits die Wörter, und daß wir aufgrund ihrer unerbittlich harten Struktur als Sklaven in ihr gefangen sitzen, unfähig, uns außerhalb ihres Zugriffs von ihr zu befreien, denn es gibt kein Außerhalb der menschlichen Sprache.
Wie gelangt man hinaus aus diesem Gefängnis, das Barthes in Sartrescher Weise »un huis clos« nennt, einen geschlossenen Ort? Indem man es überlistet. Man kann die Sprache durch ein trickreiches Spiel überlisten. Dieses trickreiche, heilsame und befreiende Spiel nennt sich Literatur.
Daher nun die Skizze einer Theorie der Literatur als Praxis des Schreibens, écriture, Spiel der Wörter und mit den Wörtern. Ein Paradigma, das nicht nur die sogenannten literarischen Praktiken stiftet, sondern sich auch im Text eines Naturwissenschaftlers oder Historikers als wirksam erweisen kann. Aber das Modell dieser befreienden Praxis bleibt für Barthes letztlich immer noch das der sogenannten »schöpferischen« oder »kreativen« Aktivitäten.
Die Literatur bringt das Sprechen ins Spiel, setzt es in Szene und bearbeitet seine Lücken, sie mißt und bemißt sich nicht an schon gemachten Aussagen, sondern am Spiel des aussagenden Subjekts, sie fördert das Salz der Wörter zutage. Sie weiß sehr wohl, daß sie von der Macht der Sprache wieder eingeholt werden kann, doch gerade deswegen ist sie bereit zu widerrufen, sie spricht und verleugnet, was sie gesagt hat, sie versteift sich und bewegt sich leichtfüßig fort, sie zerstört nicht die Zeichen, sondern läßt sie spielen und spielt mit ihnen. Ob und wie Literatur, so verstanden, eine Befreiung von der Macht der Sprache ist, hängt nun allerdings von der Natur dieser Macht ab, und in diesem Punkt ist Barthes, wie uns scheint, etwas vage geblieben. Andererseits hat er Foucault zitiert, nicht nur als Freund und direkt, sondern auch indirekt in einer Art Paraphrase, als er die wenigen Sätze über die »Pluralität« der Macht vortrug. Und der von Foucault entwickelte Machtbegriff ist vielleicht der überzeugendste unter den heute zirkulierenden, jedenfalls der provokanteste. Wir fi nden ihn, Schritt für Schritt aufgebaut, in seinem ganzen Werk.
Verfolgt man Foucaults von Buch zu Buch immer feinere
Differenzierung der Verhältnisse zwischen Macht und Wissen, diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken, so zeichnen sich für seinen Machtbegriff zumindest zwei charakteristische Merkmale ab, die uns hier interessieren: Erstens ist Macht nicht nur Repression und Verbot, sondern auch Anstachelung zum Diskurs und Produktion von Wissen; und zweitens ist sie, wie auch Barthes andeutet, nicht einheitlich, nicht kompakt, kein bloß eingleisiger Prozeß zwischen einer Befehlsgewalt und ihren Untertanen.
»Man muß also annehmen, daß diese Macht eher ausgeübt als besessen wird, daß sie nicht so sehr das erworbene oder bewahr-te ›Privileg‹ der herrschenden Klasse ist, sondern vielmehr die Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen – eine Wirkung, welche die Position der Beherrschten offenbart und gelegentlich widerspiegelt. Andererseits richtet sich diese Macht nicht einfach als Verpfl ichtung oder Verbot an diejenigen, die sie ›nicht haben‹, sondern durchdringt sie, behauptet sich durch sie und stützt sich auf sie, genauso wie diese sich in ihrem Kampf gegen sie darauf stützen, daß sie von ihr durchdrungen sind.«53
Und weiter: »Unter Macht verstehe ich nicht die Regierungsmacht als Gesamtheit der Institutionen und Apparate, die den Gehorsam der Bürger in einem gegebenen Staat garantieren … Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit der Kräfteverhältnisse, die ein gegebenes Feld durchziehen und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse ändert, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kräfteverhältnisse aneinander fi nden, indem sie sich zu Systemen verketten, oder umgekehrt die Differenzen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die
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