Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.«54 Die Macht ist nicht in einem einzigen Zentrum der Souveränität zu suchen, sondern
    »in der mobilen Basis der Kräfteverhältnisse, die durch ihre Disparität unablässig Machtsituationen erzeugen, aber stets nur lokale und instabile … Die Macht ist überall, nicht weil sie alles umfaßt, sondern weil sie von überall her kommt … Die Macht kommt von unten … am Ursprung der Machtverhältnisse gibt es nicht, als ihr Grundmuster, eine binäre und globale Opposition zwischen Herrschenden und Beherrschten … Man muß eher
    davon ausgehen, daß die vielfältigen Kräfteverhältnisse, die sich in den Produktionsapparaten, in den Familien, in den einzelnen Gruppen und Institutionen bilden und auswirken, als Basis für weitreichende und den gesamten Gesellschaftskörper durchlau-fende Spaltungen dienen.«55
    Dieses Bild der Macht erinnert nun stark an jenes System, das die Linguisten Sprache (langue) nennen. Die Sprache ist zwar ein Zwangssystem (sie verbietet mir bei Strafe der Unverständlichkeit zu sagen: »Ich gewünschend ein wie«), aber ihr Zwangscharakter beruht weder auf einer individuellen Entscheidung noch auf einem Zentrum, das die Regeln ausstrahlt. Sie ist ein gesellschaftliches Produkt, sie entsteht als Zwangsapparat durch gesellschaftlichen Konsens, weil es alle so wollen: Jeder bedauert zwar, die Grammatik beachten zu müssen, aber er fügt sich drein und verlangt von den anderen dasselbe, weil es ihm dienlich ist.
    Ich weiß nicht, ob wir sagen könnten, daß die Sprache ein
    »Dispositiv« der Macht ist (mag sie auch gerade aufgrund ihrer Systematik konstitutiv für das Wissen sein), aber sicher ist sie ein Modell der Macht. Wir könnten sagen, als semiotischer Apparat par excellence (oder wie sich die russischen Semiotiker ausdrücken: als modellisierendes Primärsystem) ist sie Modell jener anderen semiotischen Systeme, die sich in den diversen Kulturen als Dispositive, sprich Apparate, der Macht und des Wissens (modellisierende Sekundärsysteme) stabilisieren.
    In diesem Sinne hat Barthes also recht, wenn er die Sprache als etwas bezeichnet, das mit der Macht zusammenhängt, aber er hat unrecht, wenn er daraus zwei Schlüsse zieht: daß die Sprache erstens »faschistisch« sei und zweitens »das Objekt, in das die Macht sich einschreibt«, oder deren drohende Epiphanie.
    Eliminieren wir gleich den ersten und offensichtlichen Fehlschluß: Wenn die Macht so ist, wie Foucault sie beschrieben hat, und wenn sich die charakteristischen Eigenschaften der Macht in der Sprache wiederfi nden, ist die Behauptung, daß die Sprache deswegen faschistisch sei, nicht bloß ein etwas alberner Gag oder eine Boutade, sondern eine Einladung zur Konfusion. Denn der Faschismus, der ja dann überall wäre, in jeder Machtsituation und in jeder Sprache seit Anfang der Zeiten, wäre dann nirgendwo mehr. Wenn die condition humaine unter das Zeichen des Faschismus gestellt wird, sind alle Menschen Faschisten und somit keiner. Woran sich zeigt, wie gefährlich die demagogischen Argumente sind, die heute allenthalben in-fl ationär auf journalistischer Ebene eingesetzt werden – ohne die Raffi nesse eines Roland Barthes, der immerhin mit Paradoxen noch umzugehen versteht und sie zu rhetorischen Zwecken einsetzt.
    Subtiler erscheint mir der zweite Fehler: die Behauptung, daß sich die Macht in die Sprache einschreibe. Ich habe offen gesagt noch nie die französische oder französisierende Macke verstanden, alles irgendwo »einzuschreiben« oder »eingeschrieben« zu sehen. In schlichten Worten, ich weiß nicht recht, was »sich einschreiben« heißen soll, mir scheint, es ist einer von jenen Imponierausdrücken, mit denen man Probleme umschreibt, die man nicht besser zu defi nieren weiß. Aber selbst wenn wir den Ausdruck ernst nehmen wollen, würde ich eher sagen, daß die Sprache das Mittel ist (oder das »Dispositiv«), durch welches die Macht dort eingeschrieben wird, wo sie sich installiert. Um das genauer zu erklären, muß ich ein bißchen weiter ausholen und ein ganz anderes Buch heranziehen, nämlich die neue Studie des Mediävisten Georges Duby über die Theorie der drei Ordnungen.56
    Ausgangspunkt für Duby sind die Generalstände zu Beginn der Französischen Revolution: Klerus, Adel und Dritter Stand.

Weitere Kostenlose Bücher