Über Gott und die Welt
Schritt für Schritt unterirdisch gebildet hatte. Revolutionen wären dann, so gesehen, die Katastrophen langsamer Reformbewegungen, ganz unabhängig vom Willen der Subjekte. Zufallsergebnisse einer Endkomposition von Kräften, die einer seit langem heran-gereiften Strategie symbolischer Umstrukturierungen gehorcht.
Mit anderen Worten, es ist nicht klar, ob Foucaults Vision der Macht (die Barthes genial in der Sprache exemplifi ziert) eine neo-revolutionäre oder eine neoreformistische Sicht ist. Es sei denn, Foucaults Verdienst bestünde darin, den Unterschied zwischen den beiden Konzepten abgeschafft zu haben, um uns zu zwingen, mit dem Begriff der Macht auch den der politischen Initiative zu überdenken. Schon höre ich hier die Leute, die immer der neuesten Mode nachjagen, mich bezichtigen, ich defi nierte Foucault als einen typischen Denker der »Tendenzwende«. Dummes Geschwätz.
Es geht darum zu begreifen, daß sich in diesem Problemknoten Neuerungen abzeichnen: neue Begriffe von Macht, von Kraft, von gewaltsamer Umwälzung und von schrittweiser Umstrukturierung durch langsame periphere Verschiebungen in einer Welt ohne Zentrum, in der alles Peripherie ist und nichts mehr von nichts das
»Herz«. Schönes Ideenknäuel für eine Refl exion, die im Zeichen einer »Leçon« begann. Lassen wir’s in der Schwebe. Es handelt sich um Probleme, die, wie Foucault sagen würde, das einzelne Subjekt nicht lösen kann. Es sei denn, es beschränkte sich auf die literarische Fiktion.
( Alfabeta, Mai 1979)
Laudatio auf Thomas von Aquin
Das Schlimmste, was ihm in seiner Karriere passierte, geschah nicht am 7. März 1274, als er mit kaum neunundvierzig Jahren im Kloster Fossanova starb und die Mönche seinen mächtigen Körper nicht die enge Treppe hinunterbekamen. Es passierte ihm auch nicht drei Jahre nach dem Tod, als der Erzbischof von Paris, Etienne Tempier, eine Liste häretischer Lehren ausgab, die insgesamt 219 Sätze enthielt, darunter – neben den meisten Thesen der Averroisten und ein paar Bemerkungen, die Andreas Capellanus hundert Jahre zuvor über die irdische Liebe gemacht hatte – auch zwanzig Sätze von ihm, dem Doctor angelicus Thomas aus dem Grafengeschlecht derer von Aquino. Denn diesen repressiven Akt hat die Geschichte rasch korrigiert und Thomas gewann die Schlacht noch als Toter, während Tempier zusammen mit Guillaume de Saint-Amour, seinem anderen Erzfeind, in die leider endlose Reihe der großen Restauratoren einging, die von den Richtern des Sokrates über die Richter Galileis bis einst-weilen (1985) zu Kardinal Ratzinger reicht. Das Schlimmste, was Thomas von Aquin passierte, geschah anno 1323, zwei Jahre nach Dantes Tod und vielleicht nicht ganz ohne dessen Mitschuld – nämlich, als er von Papst Johannes XXII. heilig-gesprochen wurde. Dergleichen sind üble Schicksalsschläge, die einem das ganze Lebenswerk ruinieren können, wie wenn man den Nobelpreis erhält oder in die Académie Française berufen wird oder den Oscar bekommt. Man wird wie die Mona Lisa: ein Klischee. Es ist der Moment, da ein großer Brandstifter zum Feuerwehrhauptmann ernannt wird.
In diesem Jahr begehen wir nun seinen siebenhundertsten Todestag. Thomas kommt wieder in Mode, als Heiliger wie als Philosoph, und viele fragen sich, was er heute wohl täte, in unserer Zeit, aber noch mit dem Glauben, der geistigen Aufgeschlossenheit und der Energie, die er zu seiner Zeit hatte.
Doch Liebe trübt bisweilen den Blick, und so sagen nun manche, um Thomas für groß zu erklären, er sei ein Revolutionär gewesen.
Es stellt sich also die Frage, in welchem Sinne er einer war. Denn wenn man auch sicher nicht sagen kann, er sei ein Restaurator gewesen, hat er doch immerhin ein so grundsolides Gebäude errichtet, daß bislang kein anderer Revolutionär in der Lage war, es von innen heraus zu erschüttern, und das Höchste, was man tun konnte, war, von Descartes über Hegel und Marx bis Teilhard de Chardin, »von außen« darüber zu sprechen.
Die Frage stellt sich um so mehr, als man nicht versteht, wie der Skandal von einem so unromantischen Individuum kommen konnte, einem so korpulenten und trägen Typ, der in der Klosterschule immer nur dasaß und sich schweigend Notizen machte, mit einer Miene, als ob er nichts kapierte, und den seine Mitschüler ständig aufzogen. Wie einmal im Refektorium, während er friedlich beim Essen saß auf seinem Platz für zwei (man hatte extra eine Armlehne absägen müssen, um auf der
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