Ueber Gott und die Welt
Nacht so oft gesungen, dass ich ihn wohl bis zum Ende meines Lebens nicht vergessen werde.
Der Gottesdienst dauerte bis 6 Uhr morgens. Wir zogen dann alle gemeinsam in die Trapeza, das Refektorium der Mönche, wo vor jedem Mönch und jedem Gast bereits ein Teller stand mit einem großen gebratenen Fisch. Vorher hielt der Abt noch eine Predigt, die in den zehn Stunden der Liturgie noch nicht inbegriffen war und in der er sich Seitenhiebeauf die mit Rom unierten Ostkirchen nicht verkneifen konnte.
Anmerken muss ich noch, dass am folgenden Tag der Abt mir mit ausgesuchter Freundlichkeit begegnete, mich bei Tisch neben sich setzte und ebenso bei einer nachmittäglichen Zusammenkunft, bei der griechische Lieder gesungen wurden.
Die Herzlichkeit des Abtes war auffallend. So wie ich seine kompromisslose Festigkeit in Glaubenssachen bewunderte und respektierte, so wusste er offenbar die Verbindung von Respekt und Hartnäckigkeit bei mir zu schätzen.
Christos anesti
, das war den ganzen Ostertag und die Osterwoche über der alltägliche Gruß, ebenso wie die Antwort:
Alithos anesti
– Er ist wahrhaft auferstanden. Dass Ostern war, konnte man auch keine halbe Stunde vergessen, weil die Luft immer wieder erfüllt war von dem Dröhnen der ausgehöhlten Baumstämme, auf die man schlägt und deren Klang die Glocken ersetzt.
An Ostern dürfen die Mönchsnovizen, so oft sie Lust haben, auf die Stämme schlagen.
Im Jahr 1999 erlangten Sie große Aufmerksamkeit mit einem Artikel »Das unsterbliche Gerücht« in der Monatszeitschrift »Merkur«. Vor kurzem erinnerte der damalige Herausgeber des »Merkur«, Karl Heinz Bohrer, an das Doppelheft im Herbst 1999 mit dem Titel »Nach Gott fragen. Über das Religiöse«, zu dem mehrere Geistesgrößen Beiträge lieferten, und bemerkte: »Der einzige, der die Gottesfrage affirmativ beantwortete, war kein Theologe, sondern der katholische Philosoph Robert Spaemann.« Sie haben mit weiteren Aufsätzen über die Gottesbeweise ein Thema aktualisiert, dem im letzten Jahr ein Suhrkamp-Theorieband gewidmet war, unter anderem mit einem Artikel von Ihnen, aber auch einem des Mathematikers Kurt Gödel. Wer ist der Adressat dieser Überlegungen, der Gläubige oder der philosophisch Interessierte?
Natürlich der Letztere!
Weil Gläubige keiner Gottesbeweise bedürfen?
So ist es. Wenn ich mich ihnen überhaupt zuwende, dann höchstens, um ihnen den Rücken zu stärken und zu betonen, dass die Konvergenz von Glaube und Vernunft wohlbegründet ist.
Es gibt die Versuche, den Zusammenhang von Glaube und Philosophie bei den Vorsokratikern zu verankern. Heidegger sieht darin ein ursprüngliches Denken, dem gegenüber die Philosophie Platons und Aristoteles’ schon als eine Reduktion anzusehen ist. Wie sehen Sie das?
Wenn man Philosophie als einen kontinuierlichen Diskurs betrachtet, in dem es eigentlich keine Brüche, sondern ein echtes Gespräch gibt, das immer weitergeführt worden ist, dann muss man sagen, Philosophie beginnt mit Platon. Vorher gibt es einzelne Denker, die für sich stehen. Platon hat deren erratische Blöcke eingeschmolzen in einen kontinuierlichen Diskurs von Argument und Gegenargument. Die Vorsokratiker reden ja fast immer apodiktisch, nicht argumentativ.
Lebt nicht jeder, der einerseits Platon-Dialoge und andererseits das Johannes-Evangelium oder die Psalmen liest, in einer Grundspannung, die man als die Konkurrenz zwischen Athen und Jerusalem bezeichnen könnte?
Das Christentum steht in großer Nähe zur »natürlichen Theologie« der Philosophen. Aber eben auch in Konkurrenz.Vor allem ist es nicht elitär. Jeder ist berufen, in ein unmittelbares Verhältnis zum Schöpfer des Universums einzutreten. Und was die Lebensführung betrifft – an die Stelle der Ataraxie der Epikureer und der Apathie der Stoiker, also an die Stelle der Selbstbehauptung der Autonomie des Menschen als Vernunftwesen, tritt die Liebe als innerstes Motiv. »Wenn ich meinen Leib zum Verbrennen hingäbe«, schreibt Paulus – und meint damit offensichtlich die Stoiker –, »hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts.«
Jesus freut sich mit den Fröhlichen, ist von Mitleid bis zu Tränen gerührt mit den Leidenden und von Angst geschüttelt am Abend vor seinem Tod. Kein Philosoph also im antiken Verständnis. Außerdem steht er nach drei Tagen von den Toten wieder auf.
»Sie sollten etwas dieser Art zu tun versuchen«, sagte Talleyrand zu jemandem, der ihm im Rahmen der Revolution als
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