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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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strengeren Observanz.
    Ich gab aber nicht so schnell auf. Ich drückte gegenüber dem Abt meinen Respekt aus vor der Festigkeit der Orthodoxie, wie ich sie hier antreffe, und sagte zu ihm: »Die westliche Kirche ist heute schwer von innen bedroht, und zwar von einem Liberalismus und Relativismus, der längst die Grenzen zur Häresie überschritten hat. Noch der Arianismus war ein Kinderspiel gegen die Lehren, die sich heute in der westlichen Theologie breitmachen. In dieser Situation ist es für uns lebensnotwendig, dass die Kirche wieder, wie der Papst sagte, auf zwei Lungenflügeln atmet und dass die Kirche des Ostens der des Westens mit ihrer Glaubensfestigkeit zu Hilfe kommt.«
    Das gefiel dem Abt. Die Hauptangst der Orthodoxen ist ja ständig, von Rom dominiert zu werden. Ihre Starrheit ist oft Folge eines Minderwertigkeitskomplexes gegenüber dem Katholizismus.
    In dieser Situation hört ein griechischer Abt es natürlich gern, wenn der Westen sagt, dass er die Orthodoxie braucht, genau so sehr oder mehr noch als die Orthodoxie die Wiedervereinigung mit dem Westen.
    Im Übrigen sagte mir später der dolmetschende Mönch, dass ich in dem Augenblick das Herz des Abtes gewonnen hätte, als ich erklärte, dass wir keineswegs die Absicht hätten, bei ihnen zur Kommunion zu gehen. »Hätten Sie gesagt:›Wir sind doch alle Christen, und lasst uns doch gemeinsam das Abendmahl feiern‹, hätte der Abt Sie gleich hinausgeworfen.«
    Am Ende dieses Disputs, an dem ich noch einmal den Abt bat, uns mit Rücksicht auf das heilige Osterfest doch in ihre Kirche zu lassen, sagte der Abt: »Wissen Sie, wenn ich Sie jetzt hineinlasse, würden einige ältere Mönche die Liturgie verlassen.«
    Daraufhin ich: »Das ändert die Sache. Wir wollen auf gar keinen Fall Ihren Osterfrieden stören. Wenn die Dinge so sind, dann bitte lassen Sie doch den Mönch mit dem Klosterschlüssel uns die Tür öffnen, und wir gehen noch in dieser Nacht hinauf in das Kloster Simonos Petras, wo man uns sicher zur Mitfeier zulassen würde.«
    In diesem Augenblick erblasste der Abt und erwiderte: »Das können Sie nicht machen. Es ist dunkel, der Mond scheint nicht, der Weg nach Simonos Petras ist unter diesen Umständen zu gefährlich. Sie müssen durch einen kleinen Fluss und dann den Felsweg hinauf. Dabei kann jemand zu Tode kommen.«
    Daraufhin ich: »Bitte lassen Sie uns gehen. Wir kennen den Weg ein bisschen, weil wir ihn heute schon gegangen sind. Außerdem haben wir eine Taschenlampe. Und im Übrigen – das Restrisiko nehmen wir auf uns, denn diese Nacht ist auch unser Ostern, und wir möchten gern, wenn es möglich ist, an einer Osterliturgie teilnehmen.«
    Hier stand der Abt auf und bat uns, eine Weile zu warten, worauf er den Raum verließ. Wie ich später erfuhr, ging er in die bereits fortgeschrittene Liturgie und holte mitten aus dem Gottesdienst den Ältestenrat der Mönche zu einer kurzen Beratung heraus. Er legte ihnen den Kasus vor und sagte:
    »Können wir es verantworten, diese Leute gehen zu lassen, wenn daraufhin einer von ihnen zu Schaden kommt?Handelt es sich hier um ein göttliches Gebot, dann müssen wir ihm folgen, und die Verantwortung für die Konsequenzen dieser Befolgung liegt nicht bei uns. Ist es aber eine kirchlich-monastische Observanz, die auch von der anderer orthodoxer Kirchen abweicht, dann liegt hier doch wohl ein Fall dessen vor, was wir Oikonomia nennen und was im Westen Epikie heißt – das heißt, um eine Ausnahmesituation, in der die Regel außer Kraft gesetzt wird.«
    Der Rat beschloss einstimmig, uns unter diesen Umständen zur Feier der Liturgie zuzulassen, immer vorausgesetzt, dass wir nicht verlangten, zur Kommunion zu gehen. Nach einer Weile kam der junge Dolmetscher-Mönch, um uns die freudige Nachricht zu übermitteln, mit der meine Hartnäckigkeit belohnt wurde.
    Die Liturgie war herrlich. Beim Ruf des Diakons:
Christos anesti
, Christus ist auferstanden, setzte ein Mönch die riesigen brennenden Kronleuchter aus Bronze, die von der Decke herabhingen, in Bewegung – »die Verhältnisse zum Tanzen bringen« war eine Forderung von Karl Marx. Die Auferstehung Christi bringt in der Tat die Verhältnisse zum Tanzen, und das wurde in diesem Augenblick unter den schwingenden Kronleuchtern sinnlich erfahrbar.
Christos anesti
– »Christus ist auferstanden. Durch seinen Tod hat er den Tod besiegt und denen in den Gräbern neues Leben geschenkt« – dieser Gesang wurde von Mönchen und Pilgern in dieser

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