Ueber Gott und die Welt
Nacht.
Die Gastfreundschaft war in verschiedenen Klöstern verschieden herzlich und kultiviert. Am aufmerksamsten, so fiel mir auf, war sie dort, wo die orthodoxe Observanz am strengsten war und wir also nicht an der Liturgie teilnehmen durften.
Ob wir orthodox seien, wurden wir von einem Mönch an der Kirchentür gefragt. Als wir uns als Katholiken bekannten, fuhr der Mönch uns an: »Ihr habt Konstantinopel geplündert und gebrandschatzt.« Es half nichts, dass ich ihn betroffen darauf hinwies, dass wir ja doch bei diesem beklagenswerten Ereignis nicht beteiligt waren, dass der Papst damals auf die Nachricht hin Tränen vergoss und dass kein Katholik diese Verirrung der Kreuzritter billige, die ja schließlich ursprünglich dem Kaiser von Konstantinopel zu Hilfe kommen wollten. Nun, dieser Mönch war etwas einfältig und wohl in allen drei Hierarchien eher im unteren Viertel angesiedelt.
Wenn ich von drei Hierarchien spreche, so drücke ich damit eine Beobachtung aus. Die erste ist die offizielle und institutionelle. Es ist die Autorität des Higoumenos, der ungefähr dem Abt in den westlichen Klöstern entspricht. Ihm küsst jeder Mönch die Hand, aber wenn ein älterer Mönch dies tut, dann erwidert der Abt die Geste sogleich, indem er seinerseits dem Älteren die Hand küsst.
Es gibt eine Hierarchie der Alten, die mich erinnerte an die Inthronisation Papst Johannes Pauls II., dem die Kardinäledurch Handkuss ihre Ergebenheit bezeugten. Als die Reihe an Stefan Wyszyński, den Kardinalprimas von Polen, kam, der dem Papst seine Reverenz erwies, sprang der Papst auf und küsste seinerseits dem alten Erzbischof von Warschau die Hand.
Die dritte Hierarchie in den Athosklöstern wirkt auf uns Lateiner zunächst seltsam. Es gibt in den Klöstern jeweils einen oder zwei Mönche, die einen schwarzen Überwurf tragen, auf dem in roter Farbe die Leidenswerkzeuge Jesu aufgestickt sind, das sogenannte Megiston Schima. Der Träger dieses Kleidungsstücks ist ein Mönch, der durch besondere Frömmigkeit, Demut, Schweigen und liebevolles Wesen eine Autorität jenseits aller institutionellen Amtsautorität besitzt. Oft handelt es sich um einen einfachen Mönch, der niedere Dienste in der Landwirtschaft oder im Hauswesen tut.
Wer verleiht denn diese Auszeichnung, die doch die Demut des Mönchs auf eine harte Probe stellt?, fragte ich. Die Antwort war: Es ist jeweils ein anderer Mönch, der bereits das Megisthon Schima trägt. Dahinter steht die Überzeugung, dass nur der geistliche Mensch den Blick hat, der einen Bruder im Geist erkennt:
Quis cognoscit spiritum nisi ipse spiritus?
– »Wer erkennt den Geist, wenn nicht der Geist selbst?« Mir scheint diese dreifache Hierarchie dem Wesen des Mönchtums mehr zu entsprechen als die eindimensionale reine Amtshierarchie.
Im Übrigen findet sich auf dem Athos auch die ganze Vielfalt monastischer Lebensformen: die Einsiedler, die in Berghöhlen hausen und die man kaum je zu Gesicht bekommt, die Eremitendörfer, in denen jeder Mönch in einem eigenen Häuschen wohnt und sich mit allen anderen in einer kleinen Dorfkirche zum Gottesdienst versammelt, dann die idiorhythmischen Klöster, wo jeder Mönch eine kleine Wohnung im Kloster hat und sein Eigenleben führt, eventuell sogarmit eigenem Eigentum, und schließlich die Zönobiten, die der heilige Benedikt als das »starke Geschlecht« der Mönche bezeichnet, Mönche mit einem monastischen Gemeinschaftsleben, das dem Leben unserer Benediktiner- oder Zisterzienserklöster gleicht. Übrigens haben die idiorhythmischen Klöster ihre Lebensweise zu gunsten des zönobitischen aufgegeben.
Wir waren in der Karwoche unterwegs, also in der Zeit der strengen Fasten. Fleisch wird ohnehin auf dem Athos nicht gegessen, in der Fastenzeit auch kein anderes tierisches Produkt, kein Fisch und nicht einmal Öl. Aber den Gästen wird weniger zugemutet.
Karfreitag feierten wir die Liturgie bei den Russen. Über das Kloster Simonos Petras, das auf einem felsigen Berg gelegen ist, kamen wir gegen Abend des Karsamstag im Kloster Gregoriou an, einer alten, am Meer gelegenen Lawra.
Beim Abendbrot im Freien trafen wir mit einer Gruppe Athener Studenten zusammen, die wie wir als Pilger zum Osterfest gekommen waren. Sie wurden sehr aufgeregt, als sie hörten, wir seien Katholiken. Ein Jurastudent, AStA-Vor sitzender an der Athener Universität, wollte mich gleich in ein kontrovers-theologisches Gespräch verwickeln und fragte mich, was meiner Meinung nach
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