Ueber Gott und die Welt
Institutionalisierung der
religion naturelle
die Gründung einer neuen Religion vorschlug.
Man hat sich in jenen alten Zeiten noch nicht träumen lassen, dass einmal der christliche Glaube der Vernunft beispringen müsse, um deren Anspruch auf Wahrheit zu stützen – einen Anspruch, der, wie Nietzsche sah, den Tod Gottes nicht überleben würde.
Im zweiten Band Ihrer gesammelten Reden und Aufsätze »Schritte über uns hinaus« findet sich ein Abschlussteil »Das Schöne und die Kunst«, in dem Sie zu ästhetischen Fragen Stellung nehmen. Welche Aufgabe fällt der Kunst zu in einer Welt, die immer mehr zur Selbstinszenierung neigt?
Kunst ist eine Weise der Welterkenntnis. Ihre Funktion wandelt sich. Die bildende Kunst scheint so alt zu sein wie die Menschheit. Warum haben Menschen ihre Keramik- oderTongefäße mit Ornamenten verziert? Die Produkte der Tiere – Nester, Höhlen oder ad hoc hergestellte Werkzeuge – gehen auf in ihrem Gebrauch. Der Krug geht nicht auf in seinem Gebrauch, der schön geformte und verzierte Krug wird »etwas als es selbst«.
Und das setzt sich fort bis zum archaischen Torso Apolls, von dem es bei Rilke heißt, dass an ihm keine Stelle sei, »die dich nicht sieht: Du musst dein Leben ändern.« Natürlich sieht der Stein uns nicht, zumal der Apoll ja kein Haupt, keine Augen hat. Aber wir fühlen uns von ihm, von jeder Stelle, angeblickt. Er ist – könnte man sagen – simuliertes Selbstsein. Oder ein Seiendes, das an sich doch nur für den Betrachter ist.
Seit jeher hat man Sein und Schein unterschieden. Was ist, zeigt sich, es erscheint, und es verbirgt sich zugleich als es selbst hinter seiner Erscheinung. Das leuchtet ja wohl ein, wenn wir von einem Menschen sprechen.
Aber gibt es denn ein »Selbst« des Kunstwerks? Das Kunstwerk ist doch, was es zu sein scheint. Die Antwort kann nur ein Paradox sein: Das Kunstwerk ist simuliertes Selbstsein. Es »sieht uns«, es erweckt, wie Kant sagt, »interesseloses Wohlgefallen«, als das Leibniz Liebe definiert, also Selbsttranszendenz. Deshalb wählt Leibniz auch, wo es um seine Definition der Liebe geht, ganz ungeniert das Beispiel der Freude, die in uns ein Bild von Raffael erweckt.
Als ästhetische Selbsttranszendenz kann Kunst Vorbereitung für wirkliche Selbsttranszendenz sein, Antwort auf einen Anspruch, dem wir zu entsprechen haben. Das Kunsterlebnis kann aber auch zum verführerischen Ersatz für wirkliche Liebe werden.
Was bedeutet ein Kunstwerk in Zeiten expansiver technischer und technologischer Simulation?
Kunst ahmt, wie die Griechen sagten, die Natur nach. Zur besonderen Situation der Kunst heute nur zwei Bemerkungen. Erstens: Die zunehmend virtualisierte Welt wurde durch die europäische Kunst vorbereitet, etwa durch Säulen, die aussehen sollen wie Marmor, und durch kirchliche Skulpturen, die nur eine Schauseite, aber keine Rückseite haben, die ja nur Gott sähe.
In einer virtuellen Welt ändert sich die Funktion der Kunst. Wenn Walter de Maria in Kassel einen viele hundert Meter langen Stahlstab in ein Bohrloch versenkt, bleibt am Boden nur eine stählerne Scheibe zu sehen, die in Wirklichkeit die Schnittstelle des langen Stabes ist. Aber das sieht man nicht. Man muss es wissen oder glauben, damit diese Scheibe ein Gefühl für die Tiefendimension der Erde erzeugt.
So wie man glauben muss, dass die konsekrierte Hostie der Leib Christi ist. Wo sich das Sakrament aus der Welt zurückzieht, versucht Kunst, das Sakrament zu simulieren. Sie will, schreibt Paul Klee, »das Unsichtbare sichtbar machen«.
Die zweite Bemerkung: Wo die evolutionäre Weltanschauung Selbstsein in ein bloßes Stadium eines anonymen Entwicklungsprozesses auflöst, da ahmt Kunst diesen Prozess nach. Das Kunstwerk wird zur Dokumentation des Prozesses seiner Herstellung statt dessen Spuren zu tilgen.
Hat Philosophie, wie Sie sie betrieben haben, in Deutschland und der westlichen Welt noch ein Zukunft?
Ob sie eine institutionelle Zukunft hat, weiß ich nicht. Heute wird sie gefördert vor allem, wo es um Bioethik oder um Wirtschaftsethik geht. Ihre Aufgabe ist die Erzeugung von Akzeptanz für Entscheidungen.
Die eigentlich ethisch relevante Entscheidung wird aber durch Ethikkommissionen nicht getroffen, sondern längst vorher durch deren Besetzung, bei der Philosophie kaumeine Rolle spielt. Innerhalb dieses Prozesses halte ich die Institutionalisierung der Philosophie in Universitäten für sehr gefährdet.
In nicht institutionalisierter Form
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