Ueber Gott und die Welt
der Unterschied zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche sei. Ich erwiderte, dass es im Grunde nur um die Frage der Stellung des Bischofs von Rom gehe, also um die Frage, ob der Bischof von Rom Nachfolger des heiligen Petrus sei und als solcher nicht nur einen Ehrenvorsitz unter den Patriarchen habe, sondern ein spezifisches kirchliches Amt, das Amt der höchsten Autorität.
Mein Gesprächspartner erwiderte, dass dies ein eher nebensächlicher Differenzpunkt sei. Der Gegensatz gehe viel tiefer. Auf meine Rückfrage hin, worin er denn bestehe,nahm er ein Blatt Papier und zeichnete vor meinen Augen einen Kreis auf das Blatt mit der Bemerkung: »Das ist das Universum, die Welt.« Und dann markierte er den Mittelpunkt des Kreises und sagte: »Und dies ist Gott. Das ist orthodoxer Glaube. Für euch ist dieser Mittelpunkt der Mensch. Das ist der Unterschied.«
Ich konnte darauf nur antworten: »Lieber Freund, wenn Sie recht hätten, würde ich heute Nacht noch der orthodoxen Kirche beitreten. Aber so einfach stehen die Dinge nicht.«
Diese Sicht der Dinge begegnete mir aber auf dem Athos mehrfach. Der lateinischen Kirche wird Anthropozentrismus vorgeworfen. Ein junger Mönch erwähnte die Sixtinische Kapelle, die doch, im Unterschied zur Ikonenmalerei, eine einzige Apotheose des Menschen sei. Diesem Mönch konnte ich nur antworten, dass der Renaissance-Humanismus sich ja zu einem großen Teil den griechischen Gelehrten verdankt, die im 15. Jahrhundert in den Westen kamen.
Es wurde Abend, und wir wollten zur Osternachtsfeier in die Kirche. Die Liturgie beginnt um 8 Uhr abends und endet um 6 Uhr morgens. An der Kirchentür fragte uns ein Mönch, ob wir orthodox seien, und als ich das verneinte, sagte er, wir könnten leider nicht an der Liturgie teilnehmen. Ich gab mich mit diesem Bescheid natürlich nicht zufrieden, sondern überreichte dem Mönch ein Empfehlungsschreiben des griechischen Bischofs von Wien mit der Bitte, es dem Abt zu überbringen.
Der Mönch antwortete, der Abt sei zur Zeit dabei, bei Pilgern die Beichte zu hören. Das könne bis 10 Uhr dauern, und wir müssten uns so lang gedulden. Wir geduldeten uns – mit Ausnahme meines österreichischen Freundes, des Byzantinisten, der aufgrund seines südländischen Aussehens und seines Bartes nicht gefragt wurde, sondern einfach stracks indie Kirche hineinging, die Ikonen küsste und Kerzen anzündete. Man hielt ihn für einen Orthodoxen.
Wir warteten zwei Stunden, während die Liturgie mit der Lesung der ganzen Apostelgeschichte begann. Gegen 10 Uhr kam der junge Mönch und sagte mir, der Abt lasse mich bitten, zu ihm zu kommen. In Begleitung eines Mönches, der zwischen Griechisch und Französisch dolmetschte, und in Begleitung von Reinhard Löw, der damals mein Assistent war, empfing mich der Abt in einem kleinen Arbeitszimmerchen, bot mir einen Platz an, überreichte mir als Gastgeschenk ein kleines holzgeschnitztes Kreuzchen und fragte, wozu wir gekommen seien.
Ich: »Um mit Ihnen das Osterfest zu feiern, das für uns Lateiner in diesem Jahr mit dem der Griechen zusammenfällt.«
Der Abt darauf: »Sie haben wohl schon gehört, dass das leider nicht möglich ist. Die Gemeinsamkeit im Gebet setzt die Gemeinsamkeit im Glauben voraus.«
(Das Empfehlungsschreiben des Bischofs von Wien spielte keine Rolle. Bischöfe besitzen bei Athos-Mönchen keine große Autorität.)
Ich: »Gewiss. Auch wir sind dieser Meinung. Aber wo der bei weitem größte Teil des Glaubens gemeinsam ist, könnte doch auch der größte Teil des Gebetes gemeinsam sein. Wir denken ja nicht daran, bei Ihnen zur Kommunion gehen zu wollen. Wir wissen, dass Sie das ablehnen, und die katholische Kirche lehnt es ja auch ihrerseits ab, Häretiker zur Kommunion zuzulassen. Und wir sind ja in Ihren Augen wohl Häretiker.«
Der Abt: »Ob die Unterschiede groß oder klein sind, das zu beurteilen steht uns nicht zu. Gott kann auch tiefe Gräben überwinden und über hohe Mauern springen. Aber uns ist es nicht erlaubt, große Gesten zu machen.«
Ich wies den Abt darauf hin, dass in den orthodoxen Kirchenim Westen immer auch nicht nur andersgläubige Christen, sondern überhaupt Menschen anderer Religionen zugelassen seien.
Der Abt darauf: »Das mag im Westen wohl so sein. Aber wir auf dem Athos haben andere Gewohnheiten.«
Auch mein Hinweis auf die Zulassungspraxis anderer Klöster auf dem Athos half mir nichts. Es gibt eben auch auf dem Athos Differenzen, und Gregoriou gehört zu der
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