Ueber Gott und die Welt
aber keineswegs veranlasst, van der Meulen mit irgendeiner Art von Solidaritätsbekundung beizustehen, sondern verlangte in einem unfreundlich gehaltenen Schreiben kategorisch, er habe der Forderung der Studenten nachzugeben.
Ich habe van der Meulen persönlich nie kennengelernt. Aber in der festgefahrenen Situation schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich Verständnis für seine Haltung bekundete, ihn aber bat, den Studenten doch einen Termin zu nennen, beispielsweise vier Wochen nach Beginn der Vorlesung, an dem er zu einer anderthalbstündigen Diskussion des bisher Vorgetragenen bereit sei. Van der Meulen folgte meinem Rat,aber erfolglos. Die Studenten bestanden auf Diskussion sofort. Van der Meulen schrieb mir damals einen Brief, in dem er sich bitter beklagte über die ostentative Desolidarisierung des Institutsvorstands und eine dunkle Andeutung machte, die ich damals nicht verstand. Es sei wohl, so schrieb er, notwendig, die Universität durch ein Zeichen aufzuwecken, um die Freiheit der Lehre in unserem Land zu verteidigen. Er bedankte sich im Übrigen sehr warm und herzlich für meinen Brief. Wenige Tage darauf beging er Selbstmord. Gadamer, Dieter Henrich und ich waren bei seinem Begräbnis, der Institutsvorstand taktvollerweise nicht.
Ich begann, mich fremd zu fühlen, ein Gefühl übrigens, das mir nicht unvertraut war. Verstärkt wurde es durch eine andere kleine Episode. Die Studenten hatten beschlossen, die Vorlesung der Lehrbeauftragten Frau Dr. von Beyer zu boykottieren. Boykottieren hieß nicht: Aufforderung, der Vorlesung fernzubleiben, was das Recht der Studenten ist, sondern es hieß, andere Studenten physisch daran zu hindern, diese Vorlesung zu besuchen.
In der nächsten Fakultätssitzung stellte das Institut, dem Frau von Beyer zugeordnet war – übrigens kannte ich auch sie nicht persönlich –, den Antrag, den Lehrauftrag für das kommende Semester zu streichen. Begründung: Das Budget des Instituts sei zu knapp. Man müsse streichen. Ich erlaubte mir, die Aufrichtigkeit dieser Begründung in Frage zu stellen. Man wisse doch, dass die Vorlesung von Frau von Beyer zur Zeit gewaltsam boykottiert werde. Und ich nähme an, dies sei der Grund für die Streichung.
Mir fuhr daraufhin ein Kollege – übrigens wiederum der Vorstand des Philosophischen Instituts – über den Mund: Es sei eine Unverschämtheit, die Aufrichtigkeit der Kollegen in Frage zu stellen.
Ich entschuldigte mich daraufhin in aller Form und sagte:»Ich akzeptiere diese Begründung. Aber wir müssen unbedingt auch den Schein vermeiden, dass wir irgendwo vor Gewalt zurückweichen. Das heißt, der Lehrauftrag muss verlängert werden. Und da das Institut kein Geld hat, erbiete ich mich, diesen Lehrauftrag aus meiner Tasche zu bezahlen.«
Große Verlegenheit. Der Lehrauftrag musste wohl oder übel verlängert werden. Im darauf folgenden Semester allerdings wurde er dann ohne weitere Diskussion kurzerhand gestrichen.
Daraufhin entschloss ich mich, von Heidelberg wegzugehen. Für eine Tat wie die van der Meulens war ich nicht nur nicht disponiert. Ich hatte für sie auch kein Verständnis. Aber ich hatte Respekt. Die Desolidarisierung von Kollegen, die auf die damalige Weise bedrängt wurden, wurde mir unerträglich.
In Stuttgart war mein Lehrstuhl immer noch nicht neu besetzt. Ich fragte Max Bense, wie er darüber dächte, wenn ich bereit wäre, nach Stuttgart zurückzukehren. Bense, mein früherer Feind, sagte: »Wir machen das sofort. Wenn Sie mir sagen, dass Sie tatsächlich kommen, werden wir Sie dem Ministerium für eine Rückberufung vorschlagen.« Er sei sicher, dass die Kollegen ihm folgen würden.
Der Abschied von Heidelberg, von dem Institut, dem glanzvollen Lehrstuhl, vielen mir lieben Kollegen, fiel mir nicht leicht. Aber ich konnte beim Rasieren wieder in den Spiegel schauen. Und das war es mir wert.
In den Erinnerungen an Ihre zwei Jahre in Heidelberg beschreiben Sie die Meinungsverschiedenheiten mit Ihrem damaligen Kollegen Ernst Tugendhat, was die Reform der Universität und den Umgang mit den revolutionär gesinnten Studenten angeht. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Tugendhat rückblickend darstellen?
Wir kannten uns. Ende der fünfziger Jahre trafen wir uns öfter im Collegium Philosophicum von Joachim Ritter. Tugendhat hat mich sogar im Krankenhaus besucht, als ich wegen der Psittakose in der Tübinger Universitätsklinik behandelt wurde.
In Heidelberg sahen wir uns dann wieder. Aber da hatte in ihm
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