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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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Gegebenes ankämpft. Diese Form der Emanzipation kann nicht zum Abschluss kommen. Das bedeutet aber auch eine permanente Privilegierung der Emanzipatoren gegenüber ihren Schützlingen, das heißt gegenüber allen anderen. Denn diejenigen,welche schon weiter fortgeschritten sind, haben das Recht, den anderen Vorschriften zu machen. Peter Handke schrieb Anfang der siebziger Jahre einmal, es ginge ja nicht, dass Leute, die immer dasselbe wollen, das gleiche Recht hätten wie diejenigen, die eine Veränderung wollen. Warum eigentlich nicht? Ist nicht vielleicht sogar das Gegenteil richtig?
    Waren die Studenten, die eine Revolution der Universitätsverfassung durchsetzen wollten, die nützlichen Idioten, die mithalfen, eine permanente Reform der Hochschulen herbeizuführen, die schließlich im Bologna-Prozess endete?
    Jedenfalls ist es genauso gekommen, wie ich es den Studenten vorhergesagt habe: Reglementierung der Professoren, der Studiengänge, der Forschungs- und Lehrinhalte. Die Wissenschaftsministerien lenken die Hochschulen. Also, wenn ich die Lage heute betrachte, möchte ich nicht mehr Professor an einer Universität sein.
    EIN FRONLEICHNAMSBESUCH BEI HEINRICH BÖLL
    Anfang der 70er Jahre. Fronleichnam. Nach der Prozession fahren meine Frau und ich in die Eifel zu einem Besuch bei Heinrich und Annemarie Böll zu einem der unscheinbaren Dorfhäuser, die sich, ähnlich wie in französischen Dörfern, nicht durch ihren Verputz von der umgebenden Natur abheben, sondern als Teil der Erde erscheinen. Das Dorf war von der nächstgelegenen Bahnstation nur mit einem Taxi zu erreichen.
    Bölls hatten uns eingeladen, mit unseren drei Kindern in ihrem Haus auf Achill Island in Irland einen Sommerurlaub zu verbringen. So gab es bei Kaffee und Kuchen viele Details zu besprechen. Währenddessen klopft es an der Haustür. Böll geht hin, um zu öffnen, und es dauert eine Weile, bis er zurückkommt und meine Frau und mich aus dem Zimmer herausbittet.
    Im Eingang steht Helmut Conrads, der Kommissar der Dürener Kriminalpolizei. Ein Blick aus der geöffneten Haustür: Das Haus ist umstellt von Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag. Der Offizier verlangt unsere Ausweise. Wir haben keine bei uns.
    Auf unseren Vorschlag hin ruft er bei der Polizei in Stuttgart an. Zwei Polizisten fahren zu unserem Haus, wo sie unsere Kinder antreffen, und auf die Frage, wo ihre Eltern seien, antworten sie: »Bei Bölls in der Eifel.« Die Identität war also festgestellt: Wir waren nicht Baader-Meinhof. Denn nach Mitgliedern der RAF, unter anderen nach Ulrike Meinhof, wurde an diesem Tag in einer Großrazzia gesucht. Man hatte gemeldet bekommen, ein Taxi habe ein Paar von der Bahnstation zu Bölls Haus gefahren.
    Aber warum interessierte sich die Polizei auf so spektakuläre Art für Heinrich Bölls Besucher? Nachdem der Kommissar seinen Polizisten Entwarnung gegeben hatte, musste er seine Aktion erklären.
    Meine etwas heimtückische Bemerkung, meine Korrespondenz mit Ulrike Meinhof liege doch schon lange zurück, ließ den Mann für einen Augenblick vermuten, dass er doch nicht ganz so falsch liege. Aber die Vermutung löste sich rasch in Luft auf: Ich hatte ihr als Assistent am Pädagogischen Institut der Universität Münster mehrfach Mahnbriefe schreiben müssen wegen entliehener Bücher der Institutsbibliothek, die sie nicht zurückgab.
    Also – was war mit Böll? Böll hatte im SPIEGEL einen Artikel veröffentlicht: »Freies Geleit für Ulrike Meinhof«, einen Artikel, der ziemlich unklar war und ihn in den Verdacht brachte, mit den Terroristen zu sympathisieren, die sich großspurig »Rote Armee Fraktion« nannten. Inzwischen saß der Kommissar mit uns am Tisch, trank Kaffee und aß Kuchen.
    »Haben Sie eigentlich meinen Artikel gelesen?«, fragte Böll.
    Der Offizier musste verneinen. Böll schlug ihm vor: »Laden Sie mich doch einmal in Ihre Polizeikaserne zu einem Vortrag ein, damit ich Ihnen erklären kann, was ich denke.«
    Der Mann versprach, den Vorschlag an den »höheren Ort« weiterzugeben. Aber dann sagte er:
    »Erlauben Sie aber doch bitte eine Frage. Nehmen wir an, im Rahmen ihrer Flucht vor dieser Razzia habe Ulrike, mit wem auch immer, an Ihre Haustür geklopft und um Einlass gebeten. Was hätten Sie getan?«
    Heinrich Böll: »Ich hätte zuerst gefragt: Haben Sie eine Pistole bei sich? Wenn ja: Sie müssen die Pistole draußen lassen. Wenn sie das getan hätte, hätte ich sie erst einmal hereingelassen, wie jeden

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