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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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Regierung man im Notstand die Notstandsautorität übergeben möchte.
    Das alles lag natürlich überhaupt nicht in der Intention der Protestierer. Es waren eher von Carl Schmitt inspirierte Gedanken. Aber da der Intelligenzquotient von Studenten rapide abnimmt, wenn sie als Masse auftreten, haben sie das natürlich nicht bemerkt.
    Dass ich mit dieser Rede die Rolle eines nützlichen Idioten gespielt habe, wurde mir noch auf dem Podium des Marktplatzes drastisch vor Augen geführt. Ein großer Teil der Studenten zog in Form eines Demonstrationszuges vom Marktplatz ab und skandierte litaneiartig: »Ho Ho Ho Chi Minh«.
    Der Name Ho Chi Minh und der Name Mao tse-Tung als Idole in einem Kampf um Bürgerfreiheit – das war nun wirklich lächerlich. Einige Zeit später gab es noch einmal eine Demonstration, nicht von Massen, aber von einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Studenten, angeführt vom Vorsitzenden des Allgemeinen Studentenausschusses, die mit Fackeln vor mein Haus gezogen kamen, um mich angesichts eines Rufs nach Heidelberg zum Bleiben in Stuttgart zu bewegen. Der AStA-Vorsitzende sagte mir am Ende dieser kleinen Veranstaltung, ich möge diese Demonstration doch bitte nicht geringschätzen. Es sei wohl zur Zeit das einzigeMal, dass in Deutschland demonstriert werde, um einen Professor zum Bleiben an seiner Hochschule zu bewegen.
    Ich war in der Tat sehr bewegt, aber umstimmen konnte mich diese Demonstration denn doch nicht. Für mich war die Zeit an einer Technischen Hochschule eine unschätzbare Erfahrung. Aber das Angebot des Lehrstuhls von Hans-Georg Gadamer und die Aussicht, es nun in erster Linie mit wirklichen Philosophiestudenten im Hauptfach zu tun zu haben, machte die Entscheidung dann doch leicht. Dass ein Lehrer gern Schüler hat, liegt in der Natur der Sache. Meine Erwartungen erfüllten sich zunächst. Ein wunderbares Institut, eine hervorragende Institutsbibliothek, herausragende Kollegen, ernsthafte, kluge und einige ausgezeichnete Studenten.
    Als ich zum Institutsvorstand vorgeschlagen wurde, sollte ich eine kleine Rede vor dem Wahlgremium halten, das, wenn ich mich recht entsinne, drittelparitätisch – Professoren, Assistenten, Studenten – zusammengesetzt war. Ich sollte mein »Projekt« vorstellen. Meine Rede war wirklich kurz. Ich sagte, mein »Projekt« sei eher ein Antiprojekt. Ich sei der Meinung, das Institut solle wie bisher fortfahren, die Rahmenbedingungen dafür zu erhalten, dass philosophische Forscher und Lehrer wie bisher forschen und lehren könnten und dass Philosophiestudierende wie bisher bei so guten Lehrern, wie sie hier versammelt sind, Philosophie studieren könnten, und zwar in der Humboldt’schen Tradition einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass ich, in dieser aufgeregten Zeit des Projektemachens, nach dieser Rede nicht gewählt würde. Und so war es dann auch.
    Aber sogar wenn man es ablehnt, Institute durch Projekte zu definieren, gab es genügend Stoff für Kontroversen. Ich erinnere mich an eine Leitungssitzung, in der Ernst Tugendhat den Vorschlag machte, einen Dozenten damit zu betrauen,für Studenten, denen es nicht gelingt, einen Doktorvater ausfindig zu machen. Es gebe doch dann und wann solche Fälle.
    Gadamer, der an der Sitzung teilnahm, wandte ein, dass es eben zum Weg des Promovierens gehöre, einen Lehrer zu finden, unter dessen Leitung man eine Dissertation schreiben möchte. Tugendhat darauf: Es bleibt doch immer ein Rest von Glück dabei, ob man bei dieser Suche erfolgreich sei oder nicht. Darauf antwortete Gadamer fassungslos: »Aber Herr Tugendhat, ohne Glück kann doch überhaupt nichts gelingen im Leben.« Tugendhat seinerseits war fassungslos über einen solchen Grad von Zynismus, denn etwas anderes als Zynismus konnte er mit diesen Worten nicht verbinden.
    Ich kam nach Heidelberg zur Zeit der kulturrevolutionären Wirren. Was die Studenten betrifft, so habe ich in den wenigen Jahren dort den Gesprächsfaden mit ihnen nie abreißen lassen. Ohnehin waren die Philosophiestudenten von den Studenten der Human- und Geisteswissenschaften diejenigen, mit denen ein Gespräch zu suchen weiterhin Sinn hatte. Auch sie terrorisierten, aber sie waren imstande und willens, parallel zu ihren Aktionen einen Rechtfertigungsdiskurs ernsthaft zu führen.
    Allerdings waren sie mit ihrem Latein in der Regel bald am Ende. Ob es nun um »Gewalt gegen Sachen« ging, um das Boykottieren von Vorlesungen, das gewaltsame

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