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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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für sich rein juristisch und logisch gangbar seien, Erfolg zu haben. Eine solche Taktik würde es Jurij Tschiwartschew überdies erschweren, das vorzubringen, was für ihn selbst am wichtigsten war, daß er nämlich der Meinung sei, im Interesse des Vaterlandes gehandelt zu haben. Larissa Nikolajewna hatte überdies versucht, etwas offenbar spezifisch Juristisches zu erklären, was mit seinem »Vorsatz« zu tun hatte. Denn wenn er an »den berüchtigten Spion Hamilton« Informationen weitergegeben hatte, von denen er wußte, daß sie zu Tod oder Gefangenennahme der eigenen Operateure hatten führen können , hatte er sich subjektiv trotzdem schuldig gemacht. Jurij Tschiwartschew fiel es im Grunde nicht schwer, diese Argumentation zu akzeptieren. Vielleicht war es nur die Tatsache, daß sein Leben auf dem Spiel stand, die es jetzt bewirkte, daß er nicht mehr ganz klar dachte.
    Es gab eine Essenspause, in der auch gelüftet wurde, bevor die Verlesung der Anklage beendet war. Jurij Tschiwartschew mußte allein mit seinen Wärtern essen, was ihm nichts ausmachte, da sich noch nichts ergeben hatte, was eine Diskussion gelohnt hätte. Er hätte dann nur etwas wiederholt, worüber sie schon gesprochen hatten. Da war es schon besser, in Ruhe gelassen zu werden.
    Als die Verhandlung in dem jetzt sehr kühlen Gerichtssaal wieder aufgenommen wurde, begann der Sekretär erneut, in seinem leiernden Tonfall aus der Anklageschrift vorzulesen. Jurij Tschiwartschews Gedanken schweiften schnell wieder ab. Er erinnerte sich an einige warme Sommer unten am Fluß in Barnaul, erinnerte sich daran, wie er mit Freunden geangelt und wie seine Mutter sich ein Karpfengericht nach dem anderen ausgedacht hatte. Der Krieg war nie bis nach Sibirien gekommen. Daß überhaupt Krieg war, merkte man nur daran, daß immer neue Menschen nach Sibirien strömten und immer mehr Kinder zum Angeln gingen. Als sein Vater endlich nach Hause kam, nachdem er den ganzen Weg von Berlin zurückgelegt hatte, hatten sie einander nicht wiedererkannt, obwohl beide so taten.
    Jurij Tschiwartschew ging plötzlich auf, daß es im Gerichtssaal vollkommen still geworden war und alle drei Richter ihn aufmerksam betrachteten; Larissa Nikolajewna gab ihm unter dem Tisch einen leichten Fußtritt.
    »Verzeihung, Genosse Vorsitzender, ich habe wohl die Frage nicht verstanden…?« sagte er verlegen, als ihm aufging, daß man ihm wohl eine Frage gestellt hatte.
    »Ich habe gefragt, ob Sie den Inhalt der Anklageschrift verstanden haben, die man vor dem Gericht verlesen hat, Genosse General«, fauchte der Vorsitzende irritiert.
    »Ja, natürlich, Genosse Vorsitzender«, erwiderte Jurij Tschiwartschew.
    »Gut!« sagte der Vorsitzende. »Dann kommen wir jetzt zu der Frage, wie Sie sich zu der Anklage stellen, nachdem Sie nach Vorschrift von ihr Kenntnis genommen und sie verstanden haben. Nun?«
    »Genosse Vorsitzender, ich bestreite, mich des Landesverrats oder der Spionage schuldig gemacht zu haben«, entgegnete Jurij Tschiwartschew entschlossen.
    »Wollen Sie etwa sagen, Sie seien unschuldig?« fragte der Vorsitzende, als wäre dieser Standpunkt sensationell unerwartet.
    »Genau. Das ist meine Meinung«, erwiderte Jurij Tschiwartschew knapp.
    Zu seinem Erstaunen kam es jetzt zu einer geflüsterten Beratung unter den drei Richtern. Aus bestimmten Bewegungen, etwa als einer fragend die Schultern zuckte, erkannte er, daß sie offenbar ein Geständnis von ihm erwartet hatten. Sie waren wohl davon ausgegangen, daß er sich vor ihnen platt auf den Bauch legen würde. Sie schienen nicht ganz einig zu sein, doch schließlich erhielt der Sekretär, der unter ihnen saß, einige geflüsterte Instruktionen.
    Jurij Tschiwartschew versuchte, seine Anwältin zu fragen, was die drei da trieben, doch sie zuckte nur irritiert die Schultern. Auch sie schien nichts zu verstehen. Schließlich räusperte sich der Vorsitzende, unterbrach seine flüsternden Kollegen mit einer Handbewegung und wandte sich dann an Jurij Tschiwartschew.
    »Genosse General!« begann er mürrisch. »Das Höchste Gericht des Militärkollegiums hat mit Erstaunen Ihre Einstellung zur Kenntnis genommen. Zunächst müssen wir Sie wohl bitten, Ihren Standpunkt zu verdeutlichen. Aus welchen Gründen sollten Sie unschuldig sein?«
    »Aus folgenden Gründen…«, begann Jurij Tschiwartschew und verstummte dann, um Larissa Nikolajewna einen Seitenblick zuzuwerfen. Diese nickte ihm nur stumm zu, er solle fortfahren. »Also aus folgenden

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