Über jeden Verdacht erhaben
anderen Worten als eine zentrale Person bei der westlichen Spionage?« fragte der Vorsitzende weiter.
»Ja, das ist richtig«, erwiderte Jurij Tschiwartschew.
»Ihnen muß demnach bewußt gewesen sein, daß Sie das Risiko eingingen, vor diesem Gerichtshof zu landen, als Sie die Handlungen verübten, für die Sie sich jetzt verantworten müssen«, faßte der Vorsitzende zusammen und machte ein zufriedenes Gesicht, als hätte er sein Opfer jetzt endgültig im Sack.
»Auch das ist richtig«, erwiderte Jurij Tschiwartschew, ohne sich von der psychologischen Kriegsführung des Vorsitzenden beeindrucken zu lassen. »Ich war mir dieses theoretischen Risikos durchaus bewußt. Alle schwierigen Entscheidungen bei unserer Tätigkeit lassen sich im nachhinein immer in Frage stellen und…«
»Danke, Genosse General!« sagte der Vorsitzende und hielt eine Handfläche wie ein großes Stoppzeichen in die Luft. »Sie werden später noch Gelegenheit zu einem Plädoyer erhalten. Bis auf weiteres bin ich, was mich betrifft, der Meinung, daß die objektive Seite der Angelegenheit voll und ganz geklärt ist. Will einer meiner geehrten Kollegen das Verhör fortsetzen …?«
Er sah sich um, als erwarte er nicht, daß eine weitere Befragung notwendig sei. Der Generalleutnant der Luftwaffe schien sich jedoch, wenn auch unter einigen Qualen, dazu durchzuringen, etwas zu sagen.
»Ja, ich habe wohl noch einige Fragen«, begann er unsicher.
»Wie unser geehrter Genosse Vorsitzender verdienstvollerweise schon ermittelt hat, gibt es über den objektiven Sachverhalt nicht mehr sehr viel zu sagen. Ich möchte mich gleichwohl der subjektiven Seite der Angelegenheit zuwenden. Die kann doch für die Folgen des Handelns durch den Angeklagten nicht ohne Bedeutung sein?«
Er wandte sich mit diesen Worten untertänig fragend dem Vorsitzenden zu, der gnädig nickte und damit zu erkennen gab, daß es nach dieser intelligenten Darstellung wohl angehe, dem Angeklagten ein paar Fragen zu stellen.
»Danke, Genosse Vorsitzender«, sagte der Mann einschmeichelnd und wandte sich dann an Jurij Tschiwartschew. »Lassen Sie mich damit beginnen, Genosse General, daß ich Sie frage, ob ich Sie in einem Punkt richtig verstanden habe. Ihnen war bewußt, daß Sie theoretisch das Leben riskierten, als Sie so handelten, wie Sie es jetzt in der Sache zugegeben haben?«
»Das ist richtig«, erwiderte Jurij Tschiwartschew im Brustton der Überzeugung. Er vermutete, daß jetzt nicht der Augenblick war, irgendein Zögern an den Tag zu legen.
»Sind Sie trotzdem der Ansicht«, begann der Fliegergeneral nachdenklich, »selbst jetzt noch, in der schwierigen Lage, in der Sie sich befinden, richtig gehandelt zu haben?«
»Ohne Zweifel ja«, entgegnete Jurij Tschiwartschew.
»Sehr interessant«, brummte der Fliegergeneral und machte sich Notizen. »Sie müssen folglich absolut davon überzeugt sein, daß dem Vaterland größerer Schaden zugefügt worden wäre, wenn Sie Ihre objektiv verbrecherischen Handlungen nicht begangen hätten?«
»Ja, ohne jeden Zweifel«, entgegnete Jurij Tschiwartschew im gleichen Tonfall wie zuvor.
»Dann muß ich Sie natürlich fragen, Genosse General, wie Sie die Risiken dessen beurteilt haben, was eingetreten wäre, wenn Sie sich nicht der Handlung schuldig gemacht hätten, für die Sie sich jetzt verantworten müssen«, fuhr der Richter fort. Er sah jetzt aufrichtig interessiert aus, vielleicht auch erleichtert, weil sein Vorgesetzter ihn nicht unterbrach.
»Sie bitten mich jetzt, Genosse General, eine außenpolitische und strategische Analyse der damals herrschenden Situation zu erstellen?« fragte Jurij Tschiwartschew mit behutsamer Ironie.
»Ja, das ist richtig«, fuhr der Richter fort, ohne mit einer Miene zu zeigen, ob er die Ironie wahrgenommen hatte.
Jurij Tschiwartschew blickte auf die Tischplatte und sammelte sich, um nicht laut loszulachen oder sich unverschämt auszudrücken.
»Bei allem Respekt vor den geehrten Genossen Generälen des Gerichts«, begann er mit bewußter Heuchelei, da er keineswegs so etwas wie Respekt vor ihnen empfand, »so bezweifle ich, daß Sie das Recht haben, solcher höchst geheimer Informationen teilhaftig zu werden, denn sie berühren den Nachrichtendienst des Vaterlandes und dessen Operationen im Ausland.«
Die drei Richter reagierten gleichzeitig, als hätte er ihnen plötzlich eine Ohrfeige verpaßt. Dann steckten sie die Köpfe zusammen und führten eine kurze empörte Diskussion, bevor der
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