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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Vorsitzende erneut das Wort ergriff.
    »Genosse General«, begann er vorwurfsvoll. Er hörte sich beinah verletzt an. »Sie verbessern Ihre Situation wirklich nicht, indem Sie zu solchen Tricks greifen. Lassen Sie mich erstens darauf hinweisen, daß Sie sich vor dem Höchsten Gericht des Militärkollegiums befinden, dem höchsten Justizorgan der Streitkräfte. Ferner ist unsere Verhandlung geheim. Überdies verfügt die westliche Spionage letzten Endes, unter anderem durch Ihr Handeln, über Erkenntnisse, die Sie dem Gericht offenbar nicht anvertrauen wollen. Finden Sie das nicht ein wenig widersprüchlich?«
    »Entschuldigen Sie mich, Genossen«, sagte Jurij Tschiwartschew und beugte sich zu Larissa Nikolajewna hinüber, die ihn kurz, fauchend und fluchend anwies, die Frage zu beantworten, da es hier schon definitionsmäßig keine geheime Information geben konnte, deren teilhaftig zu werden dem Gericht nicht erlaubt war.
    »Genossen Generäle!« ergriff Jurij Tschiwartschew erneut das Wort. »Ich kann die Logik der Einwendungen des Genossen Vorsitzenden nicht bestreiten. Meine Rechtsanwältin rät mir überdies, Ihre Fragen ohne Rücksicht auf das zu beantworten, was der Geheimhaltung unterliegt. Ich hoffe, Genossen Generäle, Sie entschuldigen meinen Fehler, ich bin nämlich nicht gewohnt, vor Gericht zu stehen.«
    »Gut!« sagte der Fliegergeneral erleichtert und wohl auch ein wenig amüsiert. »Darf ich Sie dann also bitten, diese außenpolitische und strategische Analyse zu liefern, die bei Ihrer Entscheidung offenbar eine so große Rolle gespielt hat?«
    »Natürlich, Genosse General«, begann Jurij Tschiwartschew und entschied sich dann schnell, die Dinge genau so zu schildern, wie sie gewesen waren. »Wir befanden uns also in einer sehr gefährlichen und komplizierten Situation. Oberstleutnant Simonescu war über längere Zeit in London ein beispiellos erfolgreicher Offizier des Nachrichtendienstes gewesen. Es war ihr nämlich gelungen, den britischen Verteidigungsminister zu heiraten, was über lange Zeit hinweg zur Folge hatte, daß aus Großbritannien hochqualifizierte Meldungen in einem steten Strom zu uns gelangten. Insoweit war alles gut und schön, eine glänzende, erfolgreiche Operation des Nachrichtendienstes. Darüber besteht kein Zweifel, und ich glaube, daß auch Sie, Genossen, das verstehen, ohne daß ich mich eingehend dazu äußere. Doch dann trat der britische Verteidigungsminister zurück und wurde damit von dem täglichen Strom strategischer Geheimnisse abgeschnitten. Statt dessen erhielt er einen Ausgleichsposten als Vorstandsvorsitzender bei General Electric, Großbritanniens größtem Rüstungsunternehmen. Und damit gelang es Oberstleutnant Simonescu, sich eine strategische Funktion bei der Rüstungsindustrie zuzuschanzen. Hätten sich meine Kollegen bei der Raswedka nun mit dem neuen, gewiß bedeutungsvollen Strom von Informationen zufriedengegeben, der uns über sie erreichte, hätte es wohl kaum Problem gegeben. Doch statt dessen entschied man sich für eine desperate und irrsinnige Vorgehensweise. Unter Führung von Oberstleutnant Simonescu begann nun deren Gruppe damit, Militärforscher eines für uns besonders wichtigen Typus zu beseitigen, Leute, die dabei waren, für Großbritannien einen technologischen Vorsprung einzuholen, den wir damals hatten und hoffentlich immer noch haben. Es war jedoch nur noch eine Zeitfrage, wann man diese Gruppe entlarven würde.«
    »Verzeihung, daß ich unterbreche, Genosse General«, sagte der Fliegergeneral. »Ich verstehe aber Ihre Empörung nicht. Sagen Sie mir aufrichtig, Genosse General: Ihr bei der Raswedka legt doch normalerweise nicht diese moralische Entrüstung an den Tag, wenn es darum geht, unsere Gegner zu beseitigen?«
    Er breitete die Arme aus, als wäre die Frage tatsächlich aufrichtig gemeint.
    »Gewiß nicht«, begann Jurij Tschiwartschew leicht irritiert.
    »Zwar sind solche Maßnahmen durchaus nicht so häufig, wie sich Leute außerhalb unserer Kreise das vorstellen. Aber natürlich gibt es sie. Bei uns ebenso wie auf der Seite des Feindes. Aber es ist ganz und gar nicht, wie Sie zu glauben scheinen, eine moralische Frage. Ich bin Offizier im Dienst des Vaterlandes. Das bedeutet, daß ich ebenso wie Sie vor solche Fragen gestellt sein kann.«
    »Nun, aber was war es denn, Genosse General, was an dieser Operation so schädlich war, daß Sie Landesverrat begingen und zumindest riskierten, vor Gericht gestellt zu werden und eines

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