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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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weiß. Keine der Beschlagnahmen war von einem Staatsanwalt angeordnet worden, was in sämtlichen Fällen angeblich an »Zeitnot« lag, wie es in den handschriftlichen Notizen hieß. Genau dieser Trick war schon zur Zeit von Hans Holmér bei Kurden angewandt worden, und damals hatte der Justizombudsmann das auf wundersame Weise kritisieren können, ohne es richtig zu kritisieren. Doch jetzt war es, als säßen sie selbst unverschuldet mit dem Schwarzen Peter in der Hand da, da sie auf höchst unklare Weise tatsächlich die Verantwortung für die gesamte beschlagnahmte Ermittlung hatten übernehmen müssen, einschließlich der schwarzen Plastiksäcke.
    Es war ganz einfach eine Notsituation. Alle verfügbaren Kollegen der Abteilung mußten alles stehen und liegen lassen, was sie gerade bearbeiteten, um einen Tag lang bei etwas zu helfen, was später »Operation Weihnachtsmann« genannt wurde.
    Diese Bezeichnung ergab sich aufgrund der Technik, derer sie sich bedienten, um die gesetzwidrig beschlagnahmten Dinge zurückzugeben. Der erste Gedanke war gewesen, die rund zehn Familien anzurufen, die jetzt von Hamilton auf freien Fuß gesetzt worden waren. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, diese Leute zum Haupteingang der Polizei an der Polhemsgatan kommen zu lassen, doch bei näherer Überlegung erschien ihnen dieser Weg als unbequem und vielleicht auch reichlich aufsehenerregend. Es würde unter Umständen sehr laut werden, und vermutlich würde man sie zu einer Reihe von Erklärungen nötigen, die sie gar nicht zu liefern vermochten.
    Folglich mußten sie sich des Weihnachtsmannmodells bedienen. Es wurden zwei Dodge-Busse requiriert, und die beiden jüngsten Mitarbeiter der Reichsmordkommission erhielten den Auftrag, mit den Plastiksäcken in den Vororten herumzufahren. Die Säcke waren zum Glück familienweise sortiert.
    In der Hauptsache bestand das beschlagnahmte Material aus Büchern, Briefen, privaten Fotos und Kinderspielzeug. Der größte Teil der Literatur schien in türkischer Sprache oder zumindest in der Türkei erschienen zu sein. Die Beschlagnahme erschien Rune Jansson zunächst fahndungstechnisch unmotiviert , eine absichtliche Untertreibung, für die er sich entschied, als er sich zu der großen Sacksammlung begab, die in der Geschäftsstelle sortiert wurde. Doch da erhielt er von Anna Wikström, die einmal bei der Säpo gearbeitet hatte, eine etwas schnippische und ihn sehr erstaunende Erklärung. Wenn man Terroristen die gesammelten Werke Lenins wegnehme, könne man durchaus feststellen, daß sie sich hier und da am Rand Notizen gemacht und eigene Überlegungen hinzugefügt hätten. Im Falle solcher Beschlagnahmen bei Terroristen sei man nicht hinter dem gedruckten Text her, sondern hinter persönlichen Notizen.
    Das Kinderspielzeug habe man beschlagnahmt, weil es als Versteck für sowohl Drogen als auch Notizen und Mitteilungen dienen könne.
    Rune Jansson nickte nachdenklich und tat, als akzeptierte er diese Erklärungen. Er ging auf leisen Sohlen in sein Zimmer zurück und begann statt dessen damit, auf gut Glück in den Aktenordnern zu blättern, die er von Carl erhalten hatte und die nichts mit den Beschlagnahmen zu tun hatten. Er studierte zunächst die Tatortskizzen und die Beschreibungen der beiden bekannten Zeugen. Diese erklärten, was sie gesehen hatten. Dann las er einige Fahndungsnotizen über die vermutete Mordwaffe und die verwendete Munition. Die Ermittler hatten festgestellt, daß es in der Region Stockholm bis zu achthundert Revolver mit legalen Besitzern geben konnte, daß es aber keinerlei Anlaß gebe, sich für die zu interessieren.
    Rune Jansson verfiel bei dieser Schlußfolgerung in ein kurzes Grübeln, bis ihm aufging, daß die Kollegen beim Stockholmer Gewaltdezernat ja offenbar »wußten«, daß der Täter ein Kurde war und folglich keinen Waffenschein besitzen konnte. Klar wie Kloßbrühe.
    Aber was wäre, wenn der Täter, und sei es nur um der Argumentation willen, brummte Rune Jansson ironisch vor sich hin, kein Kurde war. Wenn man beispielsweise annahm, daß er Schwede war?
    Unabhängig vom ethnischen Hintergrund des Täters hatte er zumindest einen Revolver mit Laserzielgerät verwendet. Noch vor ein paar Jahren hätte das Rune Jansson kaum sehr viel gesagt, doch seitdem hatte der Lasermann das technische Wissen der schwedischen Polizei gerade auf diesem Gebiet erheblich gesteigert. Wenn es achthundert Revolver mit dem richtigen Kaliber gab, wie viele Laserzielgeräte gab es

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