Über jeden Verdacht erhaben
auf etwas hinweisen, was so selbstverständlich wahr ist, daß ihr vielleicht nicht einmal darüber nachgedacht habt. Der jugoslawische Bürgerkrieg ist nicht nach Schweden gekommen. In Schweden sind alle kämpfenden Parteien aus dem ehemaligen Jugoslawien vertreten. Es sind Menschen darunter, die schon lange hier leben, und Flüchtlinge, die erst seit kurzem hier sind. Ihren Krieg jedoch haben sie nicht hergebracht. Das deutet darauf hin, daß sie trotz ihrer meist braunen Augen und ihres überwiegend schwarzen Haars genauso vernünftig sind wie ihr, die ihr hier im Saal sitzt. In Schweden schneiden Türken und Kurden einander nicht den Hals durch, doch das liegt nicht, wie ich wohl zugeben muß, etwa daran, daß wir in Schweden eine allwissende Sicherheitspolizei haben, obwohl einige meiner Vorgänger das genaue Gegenteil behauptet haben. Es muß andere Ursachen haben, nämlich daß sie genauso vernünftige Menschen sind wie ihr, die ihr hier im Saal sitzt. Auch christliche Libanesen und Palästinenser bringen einander in Schweden nicht gegenseitig um. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Alle diese Einwanderer der ersten und zweiten Generation spüren nämlich hautnah, daß der Gegensatz in diesem bislang so friedlichen Land nicht in ihren Reihen verläuft, sondern zwischen uns und ihnen. Das ist die Gefahr für die Zukunft. Ich will hier nicht darüber moralisieren, welche mögliche Verantwortung ihr als Studenten und Intellektuelle für unsere schwedische Zukunft habt. Ich kann nur zwei Dinge tun: auf die entscheidende Bedeutung der Frage für unsere Zukunft hinweisen und von meiner Verantwortung sprechen, der Verantwortung der Sicherheitspolizei. Aus diesem Grund kann ich sagen, daß die schwedische Sicherheitspolizei, eure Sicherheitspolizei, ihre Strategie in einer wichtigen Beziehung geändert hat. Wir jagen jetzt Spione, welche ethnische Herkunft oder Religion sie auch haben mögen, doch wir jagen sie selten in Flüchtlingsunterkünften. Wir betrachten niemanden als einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger. Es gibt sogar eine alte Säpo-Formel, die manche von uns so definierten. Wir betrachten aber ebenfalls niemanden als besonders verdächtig, nur weil er dunkle Augen oder Haare hat. Wir haben ein neues Prinzip in unsere Arbeit eingeführt, das ich euch hiermit vorlegen möchte und von dem ich hoffe, ihr könnt es gutheißen… dieses Prinzip heißt Gleichgewicht aller vor dem Gesetz!«
Carl hatte seine Stimme jetzt ein wenig erhoben, als hätte er zu Ende gesprochen. Er hob den rechten Zeigefinger in einer Geste, als wollte er mit seinen letzten Worten zum Scherz Lenin imitieren, der auch einmal von der Gleichheit aller vor dem Gesetz gesprochen hatte.
Der demagogische Trick kam an. Die Studenten in Lund klatschten Beifall, als fühlten sie sich als Angehörige der französischen Nationalversammlung beim Durchbruch der bürgerlichen Demokratie.
»Es freut mich, daß ihr für dieses Prinzip seid…«, fuhr Carl fort, als das erwartungsvolle Stimmengemurmel angesichts der bevorstehenden Fragestunde immer lauter wurde und an die Decke stieg. »Das freut mich wirklich. Ich bin mit euch einer Meinung. Doch es ist so, daß alle Dinge im Leben ihren Preis haben. Und damit wir in Schweden dieses einfache demokratische Prinzip auch auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei verwirklichen können, gibt es etwas, was wir dafür bezahlen müssen. Ich kann zwar nur ein unvollständiges Bild von diesem Preis geben, glaube aber, daß ihr dessen Inhalt schon verstehen werdet. Die schwedische Sicherheitspolizei kann, wenn das neue Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz Gültigkeit haben soll, sich nicht mehr auf türkische Folterexperten verlassen, wenn es darum geht, bestimmte türkische Staatsbürger zu beurteilen, ob diese nun Kurden sind oder nicht. Die schwedische Sicherheitspolizei kann sich nicht mehr auf die Ergebnisse von Folterungen in Israel verlassen. Die schwedische Sicherheitspolizei kann sich nicht mehr auf das verlassen, was die deutschen Sicherheitsorgane uns mitteilen, zumindest insoweit, als die deutschen Beamten ihre Informationen von türkischen Folterexperten erhalten haben. Die schwedische Sicherheitspolizei muß auch Angaben des französischen Sicherheitsdienstes mit einiger Skepsis betrachten, besonders wenn sie aus Erkenntnissen stammen, die französische Folterexperten gewonnen haben. Die schwedische Sicherheitspolizei kann auch nicht ohne weiteres Angaben bestimmter
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