Über jeden Verdacht erhaben
wissen, was sie tun, und bezahlen den dafür fälligen Preis. Irgendwann in der Zukunft dürfte man sie allerdings nicht als Verbrecher betrachten.«
»Es dürfte aber doch… reichlich unverfroren sein, Schweden mit Nazi-Deutschland und der Diktatur in der Türkei zu vergleichen?« wandte der Oberstaatsanwalt zweifelnd ein.
»Das lag natürlich auch gar nicht in meiner Absicht«, sagte Carl und schüttelte leicht den Kopf. »Schweden als staatliches System läßt sich nicht mit diesen Diktaturen vergleichen. Aber innerhalb des schwedischen Systems gibt es kleine schwarze Inseln mit Dingen, die man ebensogut etwa in der Türkei finden könnte. Dieses Informanten und Denunziantensystem war eine solche schwarze Insel. Daher also das Dilemma: Es wird zu einem Verbrechen, das System unschädlich zu machen, weil nur verbrecherische Methoden Wirkung zeigen. Ich glaube nicht an die Möglichkeit einer demokratischen Reform der Verhältnisse, über die wir gerade sprechen. Ich möchte das noch einmal wiederholen, um Mißverständnisse zu vermeiden: gerade der Verhältnisse, über die wir jetzt sprechen . Doch da das Risiko besteht, daß ich unrecht habe, bin ich also ein Verbrecher. Was ich eingestanden habe.«
»Nun, wie wäre es denn, wenn wir ein wenig vom hohen Roß unserer Prinzipien hinunterstiegen?« begann der Oberstaatsanwalt zögernd, da er in seinen Papieren suchte. »Es gibt ja auch so etwas wie einen menschlichen Aspekt, der zu beachten ist. Wenn die Angaben, die mir hier vorliegen, korrekt sind, hast du mit deinen Taten sechs minderjährige Kinder und zwei Heranwachsende vaterlos gemacht. Wie schwer wiegt dieser Aspekt bei deinen Motiven?«
»Wer einen Job als Informant eines Sicherheitsdienstes übernimmt, der die eigenen Freunde und Verwandten bekämpft, geht bewußt ein Risiko ein. Geld und andere Vergünstigungen auf der einen Seite, auf der anderen Seite das Risiko, daß es die Familie auf genau diese Weise trifft. Zwei schwedische Säpo-Agenten sind in den letzten zehn Jahren ermordet worden, weil sie durch Schlamperei von seiten der Säpo aufgeflogen waren. Die beiden Mörder sitzen übrigens in schwedischen Gefängnissen. Mit mir sind es also drei in dieser Kategorie.«
»Du meinst also, wer A sagt, muß auch B sagen?« unterbrach ihn der Oberstaatsanwalt zum ersten Mal während des Verhörs mit offener Aggressivität.
»Ja, so könnte man es vielleicht ausdrücken. Ich habe mir aber erlaubt, noch einen Schritt weiter zu gehen, wenn ich das darlegen dürfte, ohne gleich unterbrochen zu werden«, entgegnete Carl mit etwas lauterer Stimme.
»Bitte sehr«, sagte der Oberstaatsanwalt, der sich wieder ruhig und neutral anhörte.
»Die Säpo hätte sich natürlich der Familien ihrer beiden früher ermordeten Agenten annehmen müssen, doch das ist nicht geschehen. Statt dessen leugnete man einfach alle Kenntnis von den Vorfällen und nannte die beiden Überläufer. Ich habe zumindest versucht, diesen Mangel symbolisch zu kompensieren. Die sechs Kinder werden bis zum Tag ihrer Volljährigkeit eine Leibrente erhalten, also die minderjährigen. Die beiden Heranwachsenden werden ungefähr eine entsprechende Unterstützung erhalten, vor allem für ein Studium. Rechtsanwalt Lönnerheden hier neben mir wird über einen Fonds in Liechtenstein die steuertechnische Seite dieser Angelegenheit regeln.«
»Ist es der Säpo gelungen, einen solchen Fonds zu gründen?«
fragte der Oberstaatsanwalt mit spontanem Erstaunen.
»Natürlich nicht«, entgegnete Carl und verzog das Gesicht zu einer amüsierten Grimasse. »Ich würde auch stark bezweifeln, ob ein solches Versprechen überhaupt legal ist. Nein, es handelt sich hier um private Mittel, die ich zur Verfügung gestellt habe. Ich kann nur bedauern, daß der schwedische Staat diese Verantwortung gegenüber unschuldigen Kindern nicht auf sich nehmen will.«
In psychologischer Hinsicht war damit dem Verhör die Luft genommen. Mochte diese Überraschung juristisch bedeutungslos sein, war ihre journalistische jedoch beträchtlich. Hier eröffnete sich ein Markt für Hunderte von Reportagen über dunkeläugige kleine Kinder, kurz »human touch« bis zum Abwinken. Wie es schien, wollte Oberstaatsanwalt Jan Danielsson damit aufgeben. Er wandte sich an den Vorsitzenden des Gerichts und den jungen Rechtsanwalt an Carls Seite und fragte, ob dieser noch ergänzende Fragen stellen wolle, was dieser zur Überraschung aller, nur der Carls nicht, nervös verneinte.
Der
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