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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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erwecken, als handele es sich hier tatsächlich um den Prozeß des Jahrhunderts in Schweden, wie es die Medien unisono versprochen hatten.
    Ein Prozeß, bei dem es um eine Mordanklage in sechs Fällen ging, würde sich normalerweise mehrere Wochen hinziehen, doch jetzt reichten zwei Tage.
    Der erste Tag war somit in auf die Medien effektiv einschläfernder Weise damit zugebracht worden, objektive Ereignisabläufe festzustellen, Mordwaffen zu zeigen, Blutgruppentests und die Ergebnisse chemischer Untersuchungen des Staatlichen Kriminaltechnischen Labors in Linköping sowie des New Scotland Yard in London darzulegen. Damit konnte der zweite und letzte Verhandlungstag um so interessanter werden. Er sollte Vernehmungen Carls und die Schlußplädoyers der Parteien bringen; der Staatsanwalt hatte nämlich angekündigt, daß er diesmal für die gelegentlich sehr anstrengende Paradenummer vermutlich nicht mehr als ein paar Minuten brauche. Normalerweise erforderte es größere Mühen, die Richter von der Notwendigkeit eines bestimmten Urteils zu überzeugen.
    Auf gewisse Weise war die Verhandlung also zweigeteilt: in einen langweiligen Tag, an dem im großen und ganzen nur das rekapituliert wurde, was die Medien schon ausführlich berichtet hatten, nachdem Anklage erhoben war und die Voruntersuchung mit all ihren scheußlichen Details allgemein bekannt wurde.
    Und in einen spannenden Tag, an dem Carl sich endlich ausführlich äußern würde.
    Die Säpo-Führung hatte sich ohne Erfolg mit der Forderung an das Amtsgericht gewandt, den zweiten Verhandlungstag hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Carl hatte – vielleicht ohne jede Absicht – die ersten und einzigen spontanen Lacher des Prozesses für sich verbuchen können, als man ihn in aller Form gebeten hatte, sich zu dem zu äußern, was die schwedische Sicherheitspolizei in der Sache vorgebracht habe. Er hatte sehr kurz geantwortet, daß er erstens gegen verschlossene Türen in dem für die Allgemeinheit entscheidenden Abschnitt sei. Und zweitens sei er der Meinung, bedeutend besser als die jetzige und sicher sehr nervöse Säpo-Führung beurteilen zu können, was der Sicherheit des Landes dienlich sei.
    Danach hatte das Amtsgericht die Forderung abgelehnt, die Verhandlung hinter verschlossenen Türen fortzusetzen. Es gab ganz einfach keine gesetzliche Grundlage für einen solchen Beschluß.
    Oberstaatsanwalt Jan Danielsson war sich sehr wohl bewußt, welche Spannung im Gerichtssaal herrschte, als die Verhandlung am folgenden Tag um 10.33 Uhr fortgesetzt wurde. Carl wurde hereingeführt und zeigte demonstrativ auf die Uhr. Dann erklärte er entschuldigend, es sei schwierig, pünktlich zu sein, wenn man mit Fußfesseln herumlaufen müsse. Die Säpo hatte nämlich erneut einen Antrag beim Stockholmer Amtsgericht gestellt und auf zwingende Sicherheitsgründe verwiesen. Folglich müsse Carl an Händen wie Füßen gefesselt auftreten. Das Ganze hatte mit einem Kompromiß geendet – die Fußfesseln hatte das Gericht zugestanden.
    Im übrigen hatte die Polizei ihr gesamtes Arsenal aufgeboten, um zu zeigen, daß hier tatsächlich Fußfesseln nötig seien und daß der Angeklagte besonders hinterhältig und gefährlich sei.
    Der zweite Verhandlungstag sollte damit beginnen, daß der Staatsanwalt Hamilton verhörte. Unter den Zuhörern im Saal wurde geflüstert, und die Erwartung wurde immer spürbarer. Wegen des großen Zustroms aus dem Ausland befanden sich unter den Zuhörern fast ausschließlich Journalisten und Polizeibeamte in Zivil. Angehörige Carls hatten keine Plätze im Gerichtssaal verlangt, auch keine Nebenkläger. Allenfalls Angehörige der ermordeten Agenten hätten als Nebenkläger Plätze beanspruchen können.
    »Nun, Carl, jetzt fangen wir also an einem anderen Ende an als gestern«, begann Jan Danielsson fast demonstrativ vertraulich. »Du hast meine Darstellung ja bestätigt und sogar die Freundlichkeit besessen, sie in einigen Punkten zu ergänzen. Das kann ich nur so deuten, als wären wir uns über die objektiven Handlungsabläufe völlig einig. Nicht wahr?«
    »Ja, voll und ganz«, bestätigte Carl.
    Er saß leicht vornübergebeugt da und hatte eine Hand unter dem Tisch, als irritierten ihn seine Ketten. Es hatte den Anschein, als kratzte er sich.
    »Gut«, fuhr der Oberstaatsanwalt fort. »Wir sind also jetzt mit allen Fragen durch, die das Wie und das Was betreffen. Damit kommen wir zu der Frage: warum? Wenn ich richtig verstanden habe,

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