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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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hatte und jetzt nur pflichtschuldigst eine recht standardisierte Darlegung abspulte, die man in jedem außenpolitischen Seminar hätte vortragen können. Es wurde ganz einfach langweilig.
    Hamilton endete mit einer halben Entschuldigung, daß es vielleicht ergiebiger wäre, auf Fragen des Publikums zu antworten. Dann breitete er mit einer auffordernden Geste die Arme aus.
    In der folgenden Stunde kam es zu einer langen Auseinandersetzung um die Kurden in Schweden, da einige kurdische Studenten es geschafft hatten, eins der drahtlosen Mikrophone an sich zu reißen. Sie ließen nicht locker und wurden von den anderen Studenten auch nicht unterbrochen, da es in der Sache um etwas ging, was den Fragestellern am Herzen lag und ihr volles Mitgefühl hatte. Erik Ponti hörte nur mit einem Ohr zu, während er seine Notizen überflog und das Band wechselte.
    Plötzlich sah Hamilton auf seine Armbanduhr und sagte, jetzt müsse er leider gehen. Dann bat er alle Anwesenden, auf ihren Plätzen zu bleiben, bis er abgefahren sei. Und dann ging er und hatte schon den Saal verlassen, als es zu einem verwirrten Beifall kam.
    Erik Ponti stürzte sich ins Menschengewimmel, um die Leute vom Lokalradio zu finden. Er wollte sich von ihnen zum Studio mitnehmen lassen, da sowohl sie als auch er dort noch zu arbeiten hatten. Er wurde jedoch von den verschiedenen Fernsehteams abgefangen, die draußen standen und einander gegenseitig interviewten. Sie konnten nichts anderes sagen, als daß sie gar nicht wüßten, was im Saal gesprochen worden sei, da man die freie Presse und das Fernsehen nicht eingelassen habe. Sie waren sehr erregt. Und als sie Erik Ponti entdeckten, kamen sie mit ihren Kameras angerannt und stellten ihn wegen der undemokratischen Verfahrensweise zur Rede. Einige deuteten an, man habe wohl nur Hofberichterstattern Zutritt gewährt.
    Als erster der entrüsteten Journalisten erschien ein Reporter der Nachrichtensendung Aktuellt mit Kameramann und fragte, ob der Säpo-Chef persönlich entschieden habe, welche Massenmedien Zutritt erhalten sollten.
    Erik Ponti entgegnete gemessen, er habe sich wie alle anderen in der Schlange angestellt und sei deswegen in den Saal hineingekommen. Das gelte im übrigen auch für die Vertreter des Lokalradios und einige Journalisten von Zeitungen in Västerbotten.
    Auf die Frage, ob etwas Neues oder Sensationelles gesagt worden sei, erwiderte Erik Ponti mit einem schlichten Ja. Ohne sich näher zu erklären.
    Und als da Aktuellt und andere herbeieilende Kollegen ihm Fragen zu stellen begannen, wie diese sensationellen Neuigkeiten aussähen, erwiderte er, es seien sehr interessante Äußerungen gefallen, so sehr, daß er es jetzt eilig habe, mit der Redaktionsarbeit zu beginnen, da sein Beitrag im Echo des Tages viel Raum einnehmen werde. Mit diesen Worten verneigte er sich ironisch vor den Fernsehkameras und empfahl dem Fernsehpublikum, sich die Sendungen des Morgen-Echos anzuhören. Dann machte er sich lachend frei und ging.
    Die beiden Leichen beim Glockenturm der Alidhems-Kirche warfen in mehrerer Hinsicht Rätsel auf. Schon der Student, der die Polizei in Umeå anrief und von seiner Entdeckung berichtete, sprach von Mord, was ihn später in eine ebenso traurige wie peinliche Lage versetzen würde.
    Doch die Polizeistreife, die als erste am Fundort erschien, kam sofort zu der gleichen Schlußfolgerung wie der Student, der angerufen hatte. Sie sperrten das Gelände um den Glockenturm ab, alarmierten das Ermittlungsdezernat und die Kriminaltechniker im Zentrum.
    Zwei zum Teil zugeschneite Männer lagen dicht nebeneinander an der Rückseite des Glockenturms, weniger als fünfzig Meter von der modernistischen Holzkirche und weniger als zwanzig Meter von dem Fußweg zwischen den Studentenwohnheimen von Alidhem und dem Universitätsgelände entfernt, der jeden Tag sicher von ein paar tausend Personen begangen wurde.
    Der Glockenturm war aus Holz und stand auf einem Betonfundament. In Sitzhöhe zeigten kräftige Holzbalken in alle Himmelsrichtungen. Ob diese Balken eine praktische Funktion hatten oder nur Ausdruck irgendwelcher künstlerischen Absichten waren, ließ sich nur schwer ausmachen. Diese Balken wurden jedoch oft als Sitzplätze benutzt, und zwar von Personen, die draußen im Freien Wein und Schnaps trinken wollten. Insofern war der Glockenturm stadtbekannt. Es ließ sich jedoch nur schwer vorstellen, daß jemand an einem dunklen Dezemberabend bei Schneesturm sich dort hinsetzte, um zu

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