Über jeden Verdacht erhaben
daß es wenigstens Erik Ponti nicht schwerfiel, sich die Szenen da draußen in der Dunkelheit und dem Schneegestöber vorzustellen.
Hamilton trat um Punkt acht Uhr ein. Ein junger Mann, der unmöglich ein Polizist sein konnte, drängte sich vor ihm durch die Menschenmenge, und hinter ihm folgten zwei Sicherheitsbeamte.
Der junge Mann trat an das Mikrophon auf dem Rednerpult, während Hamilton noch im Hintergrund wartete.
»Im Namen der Studentenschaft begrüße ich alle Anwesenden zu diesem Treffen«, begann er sichtlich nervös. »Als Vorsitzender habe ich die große Ehre, den Gast des heutigen Abends vorzustellen, Generaldirektor Hamilton von der Sicherheitspolizei. Es ist wohl nicht nötig, unseren Gast ausführlich vorzustellen, so daß ich ihm gleich das Wort erteile.«
Damit entfernte er sich schnell vom Rednerpult, und als Hamilton einige Schritte vortrat, ertönte der erste zögernde Beifall, der einen donnernden Applaus auslöste, der so lang war, daß Erik Ponti schnell erkannte, wieviel er davon schneiden mußte.
Er musterte den gut drei Meter entfernt stehenden Hamilton. Dieser trug helle Hosen und ein Tweedjackett, das nicht zugeknöpft war. Der Mann sah angesichts des lang anhaltenden Beifalls verlegen und vielleicht leicht gerührt aus. Am linken Revers trug er ein Trauerband.
Erik Ponti betrachtete das Gesicht des Mannes. An der Ähnlichkeit mit dem Hamilton, den er seit vielen Jahre kannte, war nicht zu zweifeln. Doch Ponti glaubte einen Zug von Steifheit und Kühle zu sehen, der aber durchaus auf die Belastung des Augenblicks vor einem Mikrophon und einem Publikum mit großen Erwartungen zurückzuführen sein konnte. Er räusperte sich und beugte sich ein wenig vor. Das Stimmengewirr wurde leiser, bis es vollkommen erstarb. Erik Ponti bemerkte, daß der Mann kein Manuskript hatte.
»Auf die Notwendigkeit eines zivilen schwedischen Sicherheitsdienstes gedenke ich nicht einzugehen, es sei denn, jemand aus dem Publikum möchte hinterher etwas Polemisches zu dem Thema sagen«, begann Hamilton und ließ eine kurze Pause folgen.
»Überhaupt freue ich mich vor allem auf eine Diskussion mit euch, denn ich möchte nicht nur Dinge sagen, die vielleicht selbstverständlich sind«, fuhr er fort.
Und im folgenden sagte er drei Dinge, die man kaum als schwedische Selbstverständlichkeiten ansehen konnte. Er begann nämlich mit der Beschreibung des Feindes. Und der Feind, so erklärte er, sei in erster Linie ein gutgekleideter Geschäftsmann unklarer Herkunft und mit interessanten Kontakten in Ost und West, in zweiter Linie junge, erst vor kurzem ins Land gekommene und hochqualifizierte Offiziere des russischen Nachrichtendienstes, die an der hiesigen Botschaft arbeiteten, und drittens Terroristen, dann allerdings richtige Terroristen, also beispielsweise keine Mitglieder der PLO.
Linksgerichtete Studenten waren also kein vorrangiges Ziel mehr für den schwedischen Sicherheitsdienst.
Erik Ponti erkannte, daß darin ein Körnchen Ironie steckte, doch die war schwer zu erkennen, da in Hamiltons Gesicht auch nicht mal der Anflug eines dazu passenden Lächelns zu entdecken war.
Wie sich zeigte, war Hamiltons Vortrag klar gegliedert. Die drei Thesen, die er zu Anfang genannt hatte, wurden dann nacheinander schnell erläutert. Er begann damit, was in Zusammenhang mit der Sowjetunion in spionagetechnischer Hinsicht geschehen war. Die sogenannte zivile Spionage, die die Russen als politische Spionage ansahen, also die Tätigkeit, die in erster Linie von den verschiedenen Auslandsdirektoraten des KGB betrieben worden war, war fast auf den Nullpunkt zurückgefahren worden. Interessant in diesem Zusammenhang war jedoch, daß die militärisch-technische Spionage, die in den Tätigkeitsbereich des GRU fiel, völlig intakt geblieben war, ja, mehr noch, vielleicht war auf dieser Seite sogar ein Aufschwung erkennbar. Geopolitisch, so Hamilton, sei das nicht bemerkenswert. Rußland sei ein Staat, der einen geradezu verzweifelten Bedarf an ökonomischem, technischem und militärischem Wissen habe. Da vor allem das Letztgenannte vielleicht merkwürdig erscheine, sei da wohl eine nähere Erläuterung erforderlich.
Erik Ponti notierte sich verschiedene Möglichkeiten zum Schneiden, fühlte sich aber schon bald in einem gleichmäßigen Strom nicht sonderlich aufregender Standpunkte oder Erklärungen verloren. Plötzlich ging ihm auf, daß Hamilton den Äther-Medien schon in den ersten Sätzen alles Notwendige mitgeteilt
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