Über jeden Verdacht erhaben
Professor Anders Eriksson hätte an diesem Abend eigentlich an einem Treffen der Jagdhundeigner Västerbottens teilnehmen sollen und war zunächst gar nicht begeistert, als er den ersten der beiden Toten zu untersuchen begann. Seine zunehmende Neugier weckte jedoch rasch sein Interesse an der Arbeit.
Vor ihm lag ein offenbar extrem durchtrainierter Mann im Alter zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren. Gesicht oder Brust wiesen keinerlei Spuren von äußerer Gewaltanwendung auf; sämtliche Extremitäten waren unversehrt, nirgends Knochenbrüche. Alles deutete darauf hin, daß die Todesursache im Körperinneren zu suchen war und daß man schlimmstenfalls zu chemischen Untersuchungen greifen mußte, die langwierig werden konnten.
Doch als sie den scheinbar unverletzten Mann umdrehten, entdeckten Anders Eriksson und seine Mitarbeiter gleichzeitig einen kleinen Blutfleck neben dem Rückgrat, nämlich zwischen dem zwölften Brust und dem ersten Lendenwirbel. Als sie anschließend diese Region näher untersuchten, sah es aus, als könnte die Haut auf zwei oder drei Zentimeter Länge penetriert worden sein. Die Wunde hatte sich infolge der Elastizität der Haut geschlossen, ließ sich jedoch mit den Fingern auseinanderziehen. Es konnte sich tatsächlich um die Einstichöffnung eines Messers handeln.
Der Verdacht bestätigte sich rund eine halbe Stunde später, als sie den Leichnam geöffnet und die ersten Organe beiseite gehoben hatten. Zu ihrem Erstaunen entdeckten sie eine Blutmenge von zwei Litern, die jedoch zum größten Teil geronnen war. Sie arbeiteten sich weiter vor und trockneten die Bauchhöhle, bis sie den Fund machten, den sie schon geahnt hatten.
Ein Messer war schräg zum Rückgrat eingedrungen, hatte die Verbindung zwischen dem zwölften Brust und dem ersten Lendenwirbel gekappt und gleichzeitig die Aorta zerschnitten. Das war eine sehr bemerkenswerte Entdeckung. So etwas hatte es vermutlich in der schwedischen Kriminalgeschichte noch nie gegeben.
Die rein medizinische Logik war dennoch einfach. Der Messerstich hatte zu sofortiger Lähmung des gesamten Unterkörpers und einem blitzschnellen Blutdruckabfall infolge der angeschnittenen Aorta geführt.
Der Tod mußte auf der Stelle eingetreten sein. Zumindest mußten die meisten motorischen Körperfunktionen der unteren Körperhälfte so schnell erloschen sein, als hätte man einen Elektroschalter betätigt. In juristischem Sinn war der Tod demnach einige Minuten später beim Erlöschen der Hirnfunktionen eingetreten.
In medizinischer Hinsicht war nichts davon problematisch. Diese Dinge waren nicht schwer zu begreifen. Hingegen fragten sich die beiden Pathologen, wer einen solchen Mord ausführen konnte, wenn er nicht gerade ein Chirurg mit besonderen Kenntnissen in Orthopädie war. Wenn man das Ganze als Mord betrachtete, handelte es sich um eine geradezu artistische Leistung von höchstem Niveau, was bei den beiden Gerichtsmedizinern sofortiges berufliches Entzücken auslöste. Dieser Mord war wahrhaftig nicht von schlechten Eltern.
Der Umstand, daß die beiden Ärzte auch später – wovon sie von Anfang an ausgegangen waren – keine andere Spur von Gewaltanwendung finden konnten, kein einziges sonstiges Detail, das sich mit dem Tod in Verbindung bringen ließ, überzeugte sie ebenfalls davon, daß der Täter tatsächlich genau gewußt hatte, was er tat. Er hatte nicht einfach Glück gehabt, sondern mit verblüffender Präzision gearbeitet.
Ihre Schlußfolgerungen im Fall Memo Baksi bewirkten, daß sie sich auch des zweiten Opfers mit großen Erwartungen annahmen, Treffen von Jagdhundhaltern oder nicht.
Sie stellten fest, daß es sich um einen Mann im gleichen Alter, wenn auch von eher normaler Körperkonstitution handelte. Doch hier war kein Messer verwendet worden. Schon bei der ersten oberflächlichen Untersuchung des Toten fanden sie die Ursache seines Todes, einen Bruch der Halswirbelsäule.
Die beiden Ärzte brachten die innere Besichtigung und die Analyse schnell hinter sich, um sich dann der Frage zuzuwenden, wie in diesem Fall die äußere Gewalt appliziert worden war.
Die Frage ließ sich im Lauf des Abends nicht entscheiden, zumindest nicht genau. Es stand jedoch fest, daß irgendeine sehr kräftige Gewalt auf die Halswirbelsäule eingewirkt hatte, da sich an mehreren Stellen Brüche fanden. Doch die Risse in der Muskulatur deuteten auch auf eine andere Art von Gewalt hin. Es sah aus, als wären Kopf und Hals kräftig gedreht
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