Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
kenne Ihr Rechtssystem nicht. Es ist vielleicht eine dumme Frage, aber trotzdem… Ist es absolut normal, daß eine junge Rechtsanwältin einen solchen Fall zugewiesen bekommt, oder hat General Tschiwartschew Sie selbst ausgewählt? Verzeihen Sie, ich möchte nicht unverschämt sein, aber…«
    »Es ist wahr, und Sie haben vollkommen recht!« unterbrach sie ihn. »Normal wäre ein Rechtsanwalt, der Offizier ist, der sein Leben lang mit Militärgerichtsverfahren gearbeitet hat. Das Problem mit diesen Burschen ist nur, daß sie in ihrem geschlossenen militärischen System nur an ihre Karriere denken, so daß einer nach dem anderen abgesagt hat.«
    »Es wäre nicht gut für ihre Karriere, einen Mann zu verteidigen, der des Landesverrats und der Spionage verdächtigt wird?« fühlte Carl vor.
    »Stimmt. So könnte man es durchaus ausdrücken.«
    »Aber Sie selbst?«
    »Ich arbeite in einem erst vor kurzem gegründeten freien Anwaltsbüro. Ich habe keine militärische Karriere vor mir, die ich aufs Spiel setzen könnte. Wenn wir verlieren, wird mir kein Mensch das anlasten. Wenn wir gewinnen, könnte es allerdings für meine weitere Tätigkeit gut sein. Außerdem interessiert mich der Fall sehr.«
    »Weshalb?« fragte Carl, den ihre Aufrichtigkeit ein wenig erschüttert hatte.
    »Wenn wir mal von persönlichen Gefühlen absehen, ist es nämlich wirklich ein sehr interessanter Fall«, erwiderte sie engagiert. »Hier stehen bestimmte russische Prinzipien gegeneinander und einige menschliche dazu. Unsere Gesetze stammen, wie Sie wissen, aus der sowjetischen Zeit. Der Grund dafür, daß sich an denen nicht sehr viel geändert hat, obwohl wir angeblich jetzt den Übergang zu einem neuen System haben, ist folgender: Man sagt, nicht die Gesetze waren falsch, sondern nur ihre Anwendung. Ein Fall wie dieser wäre früher im Politbüro entschieden worden, und alles, was im Gerichtssaal gesagt worden wäre, wäre nur für die Galerie geäußert worden. Doch jetzt gibt es kein Politbüro mehr, und das ist eine sehr spannende Situation.«
    »Ja, für General Tschiwartschew muß sie äußerst spannend sein«, entgegnete Carl mürrisch.
    »Verzeihung, falls ich Sie irgendwie verletzt haben sollte, Herr Admiral«, sagte sie begütigend. Sie nahm sich sichtlich zusammen. »Sie sollten es aber so sehen: Früher wäre so ein Fall nicht spannend gewesen, denn früher hätte man General Tschiwartschew schon längst erschossen. Jetzt aber hat er eine Chance.«
    »Verstehe«, sagte Carl übellaunig. »Etwas ganz anderes: Wie werden Sie im Gerichtssaal selbst gekleidet sein, Frau Anwältin?«
    »Jedenfalls nicht gerade so wie jetzt«, entgegnete sie mißtrauisch. »Worauf wollen Sie hinaus, Herr Admiral?«
    »Wenn meine russischen Kollegen wie ich selbst und meine schwedischen Kollegen denken, würde ich einen etwas längeren Rock empfehlen sowie ein Make-up, das besser an die Tageszeit angepaßt ist«, entgegnete Carl unmotiviert hart. Er bereute es schon, kaum daß ihm die Worte über die Lippen gekommen waren.
    »Für Kleidung bleibt bei mir nicht besonders viel Geld übrig«, entgegnete sie verletzt und mit plötzlich gesenkter Stimme. »Aber wollen Sie mich ausstatten?« fuhr sie fort, als wollte sie es ihm heimzahlen.
    »Gut!« sagte Carl. »Diese Antwort habe ich verdient. Ich bitte erstens um Entschuldigung, Frau Anwältin. Sie können überzeugt sein, daß ich vollen Respekt vor der Seriosität Ihrer Arbeit habe. Zweitens… Warum nicht? Als kleine Anerkennung für Ihren mutigen Einsatz, eine wirklich kleine Anerkennung, würde ich mit Ihnen gern eine dieser Modeboutiquen unten in der Halle besuchen.«
    »Sie sind ganz schön frech, Herr Admiral«, sagte sie in einem Versuch, böse auszusehen. Dieser mißlang ihr jedoch vollständig, da sie nach nur kurzem Kampf mit den Gesichtsmuskeln hemmungslos loskicherte.
    »Ja«, sagte Carl. »Ich bin ganz schön frech, das stimmt. Das ist vielleicht eine Berufskrankheit.«
    Mehmet Rehmsa und Güngür Gökhsen wurden vor dem kurdischen Buchcafé in David Bagares gata in Stockholm aus nächster Nähe erschossen. Es war spät am Abend, und sie gehörten zu den letzten, die das Café verließen. Sie hatten ein Treffen hinter sich, auf dem ein alljährliches kurdisches Fest besprochen worden war.
    Es gab zwei Zeugen, deren Aussagen einigermaßen übereinstimmten, obwohl keiner von ihnen sich in einer idealen Position befunden hatte. Der eine Zeuge war ein kurdischer Genosse, der eine halbe Minute vor

Weitere Kostenlose Bücher