Ueber Meereshoehe
hatte Paolo einen Fehler gemacht, als er seinem Sohn in der Absicht, dessen Verpflegung mit nahrhafter Kost zu bereichern, drei Steaks mitgebracht hatte. Wie ein Idiot war er sich vorgekommen, als man sie ihm, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, abnahm. Doch als er sich später genauer mit den Vorschriften beschäftigte, sah er, dass sie nur hätten gebraten sein müssen, um unbeanstandet durchzugehen.
Beide, Paolo und Luisa, hatten viel gelernt, seit sie Gefängnisse besuchten. Zunächst galt es zu verstehen, wie die Liste aussehen musste, die mit den Mitbringseln selbst einzureichen war. Die kam als offizielles Dokument zu den Akten, und war dort etwas aufgeführt, was nicht mit den Vorschriften übereinstimmte, hatte der zuständige Beamte die Weitergabe zu unterbinden. Der ein oder andere hätte vielleicht ein Auge zugedrückt, aber ihnen waren die Hände gebunden. Wenn ein Vorgesetzter die Liste durchsah, konnte es mächtig Ãrger geben. Mit der Zeit hatten Luisa und Paolo also gelernt, dass es nur auf die richtige Bezeichnung ankam.
Fisch war nicht erlaubt, egal ob roh oder gekocht, doch wenn ein Risotto di Mare in »Risotto mit Knoblauch und Petersilie« umgetauft wurde, ging es durch. Kuchen war verboten, als Focaccia jedoch durfte man ihn mitnehmen. Dennoch hatte Paolo einmal erlebt, dass ihm ein Kuchen aus Mandelteig aussortiert wurde, weil er angeblich nach Zyanid rieche. Dass man ihn verdächtigte, den eigenen Sohn vergiften zu wollen, hatte Paolo tiefer gekränkt als eine Leibesvisitation. Doch er war machtlos: Der Kuchen landete im Abfalleimer.
Obwohl er wusste, dass es nicht erlaubt war, hatte Paolo heute für seinen Sohn einen Bademantel dabei. Allerdings hatte er auf die Liste »Nr. 1: Badetuch mit Ãrmeln« geschrieben. Der Beamte lieà es ihm durchgehen.
Nach der Kontrolle lagen auf dem groÃen Tisch zwei verschiedene Haufen. Was ausgehändigt werden durfte, verschwand über eine Drehscheibe, die von allen nur »Klappe« genannt wurde. So als existiere auf der anderen Seite keine völlig abgesperrte Welt, der man kleine tröstende Aufmerksamkeiten zukommen lassen wollte, sondern ein Waisenhaus, das im Namen der Barmherzigkeit Findelkinder aufzunehmen bereit war.
Für die Leibesvisitation standen zwei winzige Zimmer zur Verfügung, eines für Frauen, das andere für Männer. Da Paolo und Luisa heute die einzigen Besucher waren, wurden sie gleichzeitig durchsucht. Auf sie wartete eine Frau mittleren Alters, deren dicke Handgelenke aus Einweghandschuhen hervorschauten. Sie war mit einem Vollzugsbeamten verheiratet, der kurz vor der Pensionierung stand, und hatte vier Kinder. Um das Gehalt ihres Mannes ein wenig aufzubessern, nahm sie die Leibesvisitationen von Frauen und Mädchen vor.
»Arme hoch!«
Luisa erfasste der Geruch schlecht verdauten Essens, während die Frau einen Metalldetektor, der sich hart und leblos anfühlte, um ihren Körper gleiten lieÃ. Dann fuhren die behandschuhten Händen gleich ein zweites Mal Luisas gesamten Leib ab: über die Brüste, durch die Achselhöhlen, über den Bauch, die Beine, den Unterleib, von vorn, von hinten.
Währenddessen hielt Luisa den Blick zur Decke gerichtet. Störte es sie, derart intim berührt zu werden? Hätte man sie gefragt, wäre ihr die Antwort schwergefallen. Sie kannte das gar nicht, hatte es zu selten erlebt. Ihr Mann hatte ihren Körper nie als Ganzes erkundet, sondern sich immer nur auf ihre Pobacken und Brüste konzentriert. Wenn er sie ausnahmsweise einmal zwischen den Beinen berührt hatte, dann nur ganz hastig und zielgerichtet, um das Eindringen zu erleichtern.
Hätte Luisa darüber nachgedacht, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass, abgesehen von der persönlichen Körperpflege, ganze Zonen ihrer Haut von keinen anderen Händen als denen ihrer Mutter berührt worden waren. Und damals war sie noch ein Baby gewesen. Doch dies waren Gedanken, die sich Luisa niemals gemacht hätte. Barsch und routiniert fuhren die Finger der Aufseherin über ihren Körper, natürlich ohne irgendein Begehren zu wecken, aber auch keinen Widerwillen. Es war, als werde da etwas berührt, das nicht richtig zu ihr gehörte. Sie brauchte nur zu warten, dass es vorüber wäre.
Das Zimmer, in dem die Untersuchung stattfand, hatte ein Fenster. Es war vergittert, und durch die Scheibe fiel der Blick auf
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