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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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ein von Lorbeerbüschen gesäumter schmaler Weg. Hinter den Hecken waren Blumenbeete angelegt und durch exakte Reihen aus abwechselnd grauen und rosafarbenen Steinen unterteilt worden. Das stählerne Tor war blau lackiert und hob sich, hübsch anzuschauen, von der weiß getünchten Fassade ab. Der Bogen darüber war fast barock geschwungen. Von hier aus betrachtet, sah das Hochsicherheitsgefängnis mehr wie eine mexikanische Hazienda aus.
    Luisa wandte Paolo den Blick zu.
    Â»Das soll das Gefängnis sein?«, fragte sie ungläubig.
    Er nickte kurz. »Ja. Ich konnte es auch kaum glauben, als ich das erste Mal hier war. Es wirkt alles so …«
    Er schüttelte den Kopf, suchte nach dem passenden Wort, beließ es dann aber dabei, auch weil jetzt der Fahrer, der ausgestiegen war, ihnen die Wagentür aufzog. Zusammen mit dem jungen Vollzugsbeamten mit den kurzen Haaren, der sogleich geradewegs auf das Tor zuhielt, stiegen sie aus. Ein Tropfen traf Paolos Nase. Er blickte auf.
    Â»Was ist das denn? Regnet’s?«
    Luisa streckte den Arm aus und öffnete die Handfläche.
    Â»Nein …«
    Aber auch sie hob den Blick zu den grauen Wolken über ihnen. Unterdessen war der Fahrer zu einer kleineren Tür neben dem Haupttor getreten, die ebenfalls in diesem fröhlichen Blau lackiert war. Er klingelte, während Luisa und Paolo hinzutraten. Ein Gefängniswärter öffnete.
    Â»Nur zwei?«, fragte er, während er die Besucher musterte.
    Der Fahrer nickte.
    Â»Hier, pass mal auf. Sag Camba, er soll die Sache nicht in die Länge ziehen. Heute müssen wir pünktlich zurück.«
    Â»Es dauert genauso lange, wie es erforderlich ist«, antwortete der Wärter. »Wenn alles in Ordnung ist, geht’s schnell. Wenn was Falsches dabei ist, dauert’s. Haben Sie die Sprechscheine?«
    Dieses Mal hatten beide, Paolo und Luisa, die Papiere mit der gerichtlich erteilten Genehmigung, ihre Angehörigen genau an diesem Tag und genau zu dieser Stunde besuchen zu dürfen, bereits in der Hand.
    Â»Die Ausweise?«
    Sie reichten der Wache ihre Personalausweise.
    Â»Familienstand?«
    Luisa zeigte das Blatt mit dem Stempel der kleinen Gemeinde in den Bergen vor, worin bestätigt wurde, dass sie tatsächlich die Ehefrau des Häftlings war. Ebenfalls aufgeführt waren weitere fünf Namen: Anna, Ciriano, Maddalena, Irene und Luca. Aus dem Papier, das Paolo aushändigte, ging hervor, dass seine Familie nur aus zwei Menschen bestand: dem Häftling – seinem Sohn – und ihm selbst.
    Der Beamte hielt die Tür offen und bedeutete Luisa und Paolo einzutreten.
    Die Ravioli wurden auf der Stelle konfisziert. Camba, ein untersetzter Mann mit Händen so breit wie Maurerkellen, machte sich sogleich daran, wahllos Teigtaschen herauszugreifen und mit einem kleinen Messer mit gezackter Klinge aufzuschneiden, um zu sehen, ob Mitteilungen, Sprengstoff oder andere verbotene Dinge darin versteckt waren. Doch bald schon verging ihm die Lust daran.
    Â»Das geht nicht. Die können wir unmöglich alle öffnen«, sagte er an Luisa gewandt.
    Sie versuchte, ihn umzustimmen.
    Â»Aber die ganze Arbeit … Einhundertdreiundfünfzig sind es …«
    Â»Eben. Viel zu viele, um sie alle aufzumachen.«
    Â»Aber dafür habe ich einen ganzen Tag in der Küche gestanden.«
    Es war nichts zu machen: Der Beamte stellte die Schachtel auf den großen Tisch, wo die übrigen konfiszierten Gegenstände lagen. Luisa fiel ihre Tochter Irene ein.
    Das werde ich ihr besser nicht erzählen.
    Auch die kleinen Räuchersalami schnitt der Beamte der Länge nach auf und stülpte das rosafarbene Innere nach außen, als weide er kleine Tiere aus. Es waren bloß zehn, die waren schneller kontrolliert. Sie gingen durch.
    Neben vielem anderen hatte Paolo für seinen Sohn ein von seiner Schwester zubereitetes Brathuhn dabei. Als der Beamte das Gerippe zur Hand nahm und durch die Öffnung hineinsah, durch die die Innereien ent nommen worden waren, hatte Paolo das unschöne Bild einer Analvisitation vor Augen.
    Mittlerweile hatte er lange genug mit Gefängnissen zu tun, um zu wissen, dass man zum Beispiel besser Tabak und Blättchen statt fertiger Zigaretten mitbrachte: Ab und zu geriet man an einen schlecht gelaunten Beamten, der einen verdächtigte, Geldscheine eingerollt zu haben, und die Zigaretten konfiszierte. Bei seinem ersten Besuch

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