Ueber Meereshoehe
MP -Garbe. Und das von der schwangeren Frau, die einen Sarg mit einer Dienstmütze darauf umklammerte.
Doch von all den Fragen blieb schlieÃlich nur eine einzige übrig, oder zumindest war sie das Einzige, was er in dem Moment der Begegnung denken konnte:
»Was hast du bloà getan? Was hast du getan?«
Und das war es, was er ihn fragte.
Ihr Sohn saà auf der anderen Seite des breiten Tisches und blickte nicht zu seiner Mutter, die leise, unaufhörlich die Welt mit salzigem Wasser überflutete.
»Die Revolution«, antwortete er.
In diesem Moment hatte Paolo fast wehmütig an dieses gedehnte »Bitte« zurückgedacht, das sie einige Wochen zuvor von ihm gehört hatten. So als sei diese flehentliche Bitte am Telefon ein zarter grüner Keim gewesen, der in der Wüste gesprossen war. Dann aber augenblicklich vertrocknete. Und von dem niemand mehr erfahren würde, welche Pflanze daraus hätte wachsen können.
Er stammelte nicht mehr, ihr Sohn. Sondern fuhr fort: »Und ich werde weiter für sie kämpfen. Auch hier drinnen. Für die Revolution.«
Nicht dass Paolo diese Antwort nicht erwartet hätte. Natürlich hatte er das. Dennoch versagte ihm die Zunge, so wie einem vor einer unübersteigbaren Mauer die Beine versagen. Erst nach einem langen Schweigen â während Emilia weinte und weinte, ohne den geringsten Laut von sich zu geben â fragte er ihn:
»Bekommst du genug zu essen?«
Das war der erste Besuch gewesen.
Und zugleich Paolos Einführung in die Welt der Durchsuchungen, der Listen mit erlaubten und nicht erlaubten Speisen, der Gefängnisbürokratie. Viele wei tere Besuche sollten folgen, in vielen unterschiedlichen Haftanstalten, mit unfreundlichen oder gutmütigen Beamten, aggressiven oder schweigenden, mit Wärtern, die die Leibesvisitationen behutsam, übervorsichtig oder auf demütigende Weise vollzogen.
Emilia kam nicht mehr mit. Sie brauchte nur noch wenige Monate, um zu sterben.
Nur zwei Besucher, da dauerte es nicht lange. Und auÃerdem war die Einlasskontrolle, abgesehen von dem Problem mit den Ravioli, reibungslos abgelau fen. Auch die Gespräche, keine besonderen Vorkommnisse. Da hatten sich nicht, wie sonst häufig zu Ende der Besuche, diese dramatischen Szenen mit Heulen, Flehen und Anrufungen des Himmels abgespielt, zu denen sich allzu viele hinreiÃen lieÃen. Vor allem die Frauen der Clanchefs, die es darauf anlegten, ihren Männern zu zeigen, wie unerträglich die Trennung für sie war. Dabei hatte der Strafvollzugsbeamte Camba den Verdacht, dass gerade die Frauen, die sich zu Ende der Besuchszeit am hemmungslosesten gehen lieÃen, ihren inhaftierten Männern am ehesten Hörner auf setzten â eine Einschätzung, die er natürlich für sich behalten hatten, denn er hatte keine Lust, sich irgend wo mit einem Messer im Bauch wiederzufinden.
Wenn es doch bloà immer so wäre , hatte er gedacht, als beide, sowohl der Mann als auch die Frau, nach der Ankündigung, dass die Zeit um sei, sofort ohne das leiseste Murren den Hörer der Gegensprechanlage eingehängt hatten. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt, sie dafür mit einigen zusätzlichen Gesprächsminuten zu belohnen. Doch alle beide hatten sich so fügsam und geschwind auf den Ausgang zu bewegt, dass ihm Zweifel kamen, ob sie sich überhaupt über diesen Gefallen gefreut hätten. Vor allem, was die Frau betraf. In der Art, wie sie als Erste das Gesicht von der Scheibe abwandte, noch bevor der Kollege zu dem Häftling auf der anderen Seite getreten war, um ihn zurück in die Zelle zu bringen, hatte der erfahrene Blick des Vollzugsbeamten Camba eine vage Erleichterung erkannt. Und die Schwerfälligkeit, mit der sie sich von dem Stuhl erhob, war für ihn weniger Ausdruck von Niedergeschlagenheit, weil sie nun in ein Zuhause zurückkehren würde, wo ihr der Mann fehlte, als vielmehr der Befreiung von einer Pflicht. Sie war ja wirklich nicht die erste Frau, die ihren Mann hinter Gittern mit diesem Blick zurücklieÃ: einem Blick, in dem Er schöpfung stand, Hoffnungslosigkeit, Trauer, aber eben auch Erleichterung.
Wobei, so dachte der Vollzugsbeamte Camba, seiner Einschätzung nach solche Frauen ihren Männern keine Hörner aufsetzten, ganz egal, wie viele Jahre diese abzusitzen hatten. Vielleicht irrte er sich da, aber sie sahen eben so aus, als wäre ihr Leben schon
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