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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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mich auch davor fürchte, den
Tod als Schatten zu haben, langsam Gefallen daran finde, wie er den Puls beschleunigt und nicht nur meinen, den Puls der ganzen Welt. Wenn ich noch immer in diesem harten Panzer sanften Glücks stecken würde, hätte Joe mich vermutlich überhaupt nicht bemerkt. In sein Tagebuch hat er geschrieben, ich sei bis zum Anschlag aufgedreht, ich . Und vielleicht bin ich das jetzt, aber vorher war ich das nie. Wie kann der Preis für diese Veränderung nur so hoch sein? Dass Baileys Tod etwas Gutes mit sich bringt, kommt mir so verkehrt vor. Sogar, dass ich solche Gedanken habe, kommt mir verkehrt vor.
    Aber dann denke ich an meine Schwester und was für eine panzerlose Schildkröte sie gewesen ist und wie sehr sie wollte, dass ich auch eine werde. Kommschon, Lennie, hat sie mindestens zehn Mal am Tag zu mir gesagt. Kommschon, Len .
    Und dann geht es mir besser, denn es ist so, als würde mir jetzt ihr Tod und nicht ihr Leben beibringen, wie ich sein soll, wer ich sein soll.
     
    Toby ist da, das weiß ich schon, bevor ich reingehe, denn Lucy und Ethel haben sich auf der Veranda breitgemacht. Als ich in die Küche komme, sehe ich ihn und Grama am Tisch sitzen und leise tuscheln.
    »Hi«, sage ich verblüfft. Merkt der denn nicht, dass er nicht hier sein kann?
    »Ich Glückspilz«, sagt Grama. »Ich war auf dem Heimweg, beladen mit Lebensmitteln, da kam Toby auf seinem Skateboard vorbeigezischt.«

    Grama ist seit 1900 nicht mehr Auto gefahren. Sie geht überall in Clover zu Fuß hin, so ist sie Gartenguru geworden. Sie konnte nicht anders, sie fing an, auf dem Weg in die Stadt ihre Schere mitzunehmen, und wurde von Leuten überrascht, deren Büsche sie perfekt trimmte. Paradox, nicht? Denn bei den Büschen in ihrem eigenen Garten gilt: Hände weg.
    »Glück gehabt«, sage ich zu Grama, dabei sehe ich mir Toby an. Frische Schrammen bedecken seine Arme, wahrscheinlich von Wahnsinnsakten auf dem Skateboard. Sein Blick ist irre und er ist zerzaust, total von der Rolle. Zwei Dinge weiß ich in diesem Augenblick: Ich hab mich geirrt mit der SMS und ich will nicht mehr mit ihm von der Rolle sein.
    Eigentlich möchte ich am liebsten ins Allerheiligste gehen und Klarinette spielen.
    Grama sieht mich an und lächelt. »Du warst schwimmen. Dein Haar sieht aus wie ein Wirbelsturm. Das würde ich gern malen.« Sie streckt die Hand aus und berührt den Wirbelsturm. »Toby bleibt zum Essen.«
    Das glaub ich einfach nicht. »Ich hab keinen Hunger«, sage ich. »Ich geh hoch.«
    Grama schnappt nach Luft, weil ich so unhöflich bin, aber das ist mir egal. Unter keinen Umständen quäle ich mich durch ein Abendessen mit Grama und Big und Toby, der meine Brüste berührt hat . Was denkt der sich denn?
    Ich gehe hoch ins Allerheiligste, packe meine Klarinette aus und bau sie zusammen, dann hole ich die Edith-Piaf-Noten heraus, die ich mir von einem certain garçon geliehen habe, schlage »La Vie en Rose« auf und fange an zu spielen.
Das ist das Lied, bei dem gestern Abend die Welt explodiert ist. Hoffentlich kann ich mich einfach in diesem Zustand des Joeliriums verlieren und muss kein Klopfen an meiner Tür hören, wenn sie mit dem Essen fertig sind. Aber natürlich muss ich das doch.
    Toby, der meine Brüste berührt hat und – nicht zu vergessen – auch seine Hand in meine Hose gesteckt hat , macht die Tür auf, geht zögernd durchs Zimmer und setzt sich auf Baileys Bett. Ich höre auf zu spielen, lege meine Klarinette auf dem Notenständer ab. Hau ab, denke ich herzlos, hau doch ab. Wir tun einfach so, als wäre nichts passiert, nichts von alledem.
    Keiner von uns sagt ein Wort. Er reibt sich die Schenkel so intensiv, dass die Reibung garantiert Hitze erzeugt. Sein Blick wandert überall im Raum herum. Schließlich bleibt er an dem Foto von ihm und Bailey auf der Kommode haften. Er atmet durch, schaut mich an. Sein Blick verweilt.
    »Ihr Hemd …«
    Ich gucke an mir runter. Ich hatte vergessen, dass ich es anhabe. »Ja.« Ich trage Baileys Kleider nun immer häufiger auch außerhalb des Allerheiligsten. Wenn ich meine eigenen Schubladen durchgehe, denke ich immer: Wer war dieses Mädchen, das diese Sachen getragen hat? Eine Seelenklempnerin wäre ganz bestimmt begeistert, der hätte ich was zu bieten, denke ich mit einem Blick rüber zu Toby. Wahrscheinlich würde sie mir erzählen, ich würde versuchen, Baileys Platz einzunehmen. Oder schlimmer noch, mit ihr konkurrieren, was ich nie gekonnt hatte, als sie

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