Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
ihre Umarmung.
»Schon okay, echt«, sagt sie. »Ich weiß, ich muss dir jetzt einen Freifahrschein geben. Das ist also …« Sie rückt kurz von mir ab und mustert mein Gesicht.
»Moment mal. Was ist los mit dir? Du siehst komisch aus. Also, echt komisch.«
Ich kann nicht aufhören zu lächeln. Ich muss aussehen wie eine Fontaine.
»Was ist, Lennie? Was ist passiert?«
»Ich glaube, ich verliebe mich.« In dem Augenblick, in dem diese Worte raus sind, wird mein Gesicht glutheiß vor Scham. Ich soll trauern, nicht mich verlieben. Ganz zu schweigen von all dem anderen, das ich gemacht habe.
»Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaas! Das ist ja so unheimlich unglaublich! Nicht zu fassen! Wahnsinn! Irre! Wahnsin-nig!
Kühe auf dem Mond, Len! Kühe. Auf. Dem. Mond!« Nun ja, so viel zu meiner Scham. Die innere Cheerleaderin ist über Sarah gekommen, sie wedelt mit den Armen und hopst auf der Stelle. Abrupt hört sie damit auf. »Warte, in wen? Doch hoffentlich NICHT Toby?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, sage ich, während mich die Schuld wie ein heranrasender Schwerlaster plättet.
»Puh«, sagt Sarah und wischt sich dramatisch die Stirn. »Wer dann? In wen könntest du dich verliebt haben? Du bist nirgends hingegangen, jedenfalls weiß ich davon nichts, und diese Stadt ist schlimmer als Loserville, also wo hast du ihn gefunden?«
»Sarah, es ist Joe.«
»Hör auf.«
»Doch, er ist es.«
»Nein!«
»Ja.«
»Ist nicht wahr.«
»Wohl wahr.«
»Neeneeneeneenee.«
»Dochdochdoch.«
»Neeneenee.«
Und so weiter.
Ihre vorangehenden Begeisterungsbekundungen sind nichts im Vergleich zu dem, was jetzt abgeht. Sie umkreist mich und sagt. »Ogottogott. Ich bin ja soooooooooooooooooo neidisch. Jedes Mädchen in Clover ist hinter einem dieser Fontaines her. Kein Wunder, dass du dich so zurückgezogen hast. Hätte ich auch getan, wenn ich mich mit einem von
denen hätte zurückziehen können. Gott, lass es mich stellvertretend miterleben. Erzähl mir jedes verdammte Detail. Dieser schöne, schöne Junge, diese Augen, diese Wimpern, dieses hammerhafte Lächeln, dieses Trompetenspiel, wow, Lennnnnnie.« Jetzt läuft sie auf und ab, sie hat noch eine Zigarette angezündet, inbrünstig raucht sie Kette vor Entzücken – wie ein Schornstein, eine nackte Irre. Bin ich froh, dass ich mit diesem Wunder in Gestalt meiner besten Freundin Sarah herumhängen kann. Und bin ich so froh, dass ich froh darüber bin.
Ich lasse kein Detail aus. Erzähle, wie er jeden Morgen mit Croissants rübergekommen ist, wie wir zusammen Musik gemacht haben, wie er Grama und Big durch seine bloße Anwesenheit im Haus glücklich gemacht hat, wie wir gestern Nacht Wein getrunken und uns geküsst haben, bis ich sicher war, im Himmel angekommen zu sein. Ich erzählte ihr, dass ich glaubte, ich könnte sein Herz auch dann schlagen hören, wenn er nicht da ist, von diesem Gefühl, dass Blumen – Gramagantische Blumen – in meiner Brust erblühen, und dass ich mir sicher war, genauso zu empfinden wie Heathcliff für Cathy, ehe -
»Okay, hör mal einen Moment lang auf.« Sie lächelt immer noch, aber sie wirkt ein bisschen besorgt und auch erstaunt. »Lennie, du bist nicht verliebt, du hast den Verstand verloren. Ich hab noch nie jemanden so über einen Typen reden hören.«
Ich zucke die Achseln. »Dann hab ich den Verstand verloren.«
»Wow, ich will ihn auch verlieren.« Sie setzt sich neben
mich auf den Felsen. »Da hast du in deinem ganzen bisherigen Leben gerade mal drei Jungs geküsst und jetzt das. Vermutlich hast du es dir aufgespart oder so …«
Ich erzähle ihr von meiner Rip-van-Lennie-These, laut der ich mein ganzes Leben bis vor Kurzem verschlafen habe.
»Weiß nicht, Len. Mir kamst du immer ganz wach vor.«
»Ja, ich weiß auch nicht. Diese These war vom Wein inspiriert.«
Sarah nimmt einen Stein in die Hand und wirft ihn mit ein bisschen zu viel Kraft ins Wasser. »Was ist?«, frage ich.
Sie antwortet nicht sofort, sondern sammelt noch einen Stein auf und schleudert auch den weg. »Ich bin wütend auf dich, aber ich darf es nicht sein, weißt du?«
Genau dieses Gefühl habe ich in letzter Zeit manchmal Bailey gegenüber.
»Du hast mir so viel vorenthalten, Lennie. Ich hab gedacht … Keine Ahnung.«
Das ist, als würde sie meinen Text in einem Theaterstück sprechen.
»Tut mir leid«, sage ich wieder mit schwacher Stimme. Ich will mehr sagen, ihre eine Erklärung geben, aber in Wahrheit weiß ich nicht, warum ich mich vor ihr
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