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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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trage.
    »Ist Joe heute Morgen nicht vorbeigekommen?«, frage ich. Ich will wieder spielen, will all das, was ich fühle, mit meiner Klarinette hinausblasen.
    Big antwortet. »Nein, ich wette eine Million, dass er genau da ist, wo du auch bist, obwohl er wahrscheinlich seine Gitarre dabeihat. Hast du ihn schon gefragt, ob er sie mit ins Bett nimmt?«
    »Er ist ein Musikgenie«, sage ich und mein Schwindelgefühl von vorhin kehrt zurück. Kein Zweifel, ich bin manisch-depressiv.
    »Oje. Komm, Grama, die ist ein hoffnungsloser Fall.« Big zwinkert mir zu und geht Richtung Tür.
    Grama bleibt neben mir sitzen, sie zaust mir das Haar, als wäre ich ein kleines Kind. Sie mustert mich genau und ein bisschen zu lange. O nein. Ich war derart in Trance, dass ich vergessen habe, dass ich in letzter Zeit gar nicht richtig mit Grama geredet habe, wochenlang waren wir kaum mal so allein miteinander wie jetzt.
    »Len.« Das ist eindeutig ihr Verkündungston, aber um Bailey wird es nicht gehen, glaub ich. Sondern darum,
meine Gefühle auszudrücken. Baileys Sachen zusammenzupacken. Zum Lunch in die Stadt zu fahren. Wieder Stunden zu nehmen. All die Sachen, die ich nicht habe tun wollen.
    »Ja?«
    »Wir haben ja über Verhütung geredet, Krankheiten und all das …«
    Puh. Das ist harmlos.
    »Hm-hmm, Millionen Mal.«
    »Okay, vergiss das nur nicht plötzlich.«
    »Nee.«
    »Gut.« Sie tätschelt mir die Hand.
    »Grama, das geht noch nicht so weit, klar?« Bei dieser Enthüllung spüre ich das obligatorische Erröten, aber es ist mir lieber, sie fängt gar nicht erst an, deswegen auszuflippen und mich andauernd zu verhören.
    »Umso besser, umso besser«, sagt sie, die Erleichterung schwingt vernehmlich in ihrer Stimme mit, und das macht mich nachdenklich. Mit Joe gestern Nacht waren die Dinge ziemlich heftig, aber das Tempo konnte man genießen. Ganz anders als mit Toby. Mir macht Sorgen, was passiert wäre, wenn wir nicht unterbrochen worden wären. Ob ich wohl so vernünftig gewesen wäre aufzuhören? Oder er? Ich weiß nur, dass alles echt schnell ging, ich hatte gar nichts mehr im Griff und Kondome waren das Letzte, woran ich gedacht hab. Wie konnte das passieren? Wie konnten Toby Shaws Hände je auf meinen Brüsten landen? Tobys! Und das nur Stunden vor Joes. Ich möchte unter das Bett abtauchen und dort meinen Hauptwohnsitz einrichten. Wie konnte
ich vom Bücherwurm und Orchesterfreak zu einer Zwei-Typen-an-einem-Tag-Schlampe mutieren?
    Grama lächelt, sie merkt nichts von der Galle, die mir plötzlich die Kehle hochsteigt, dem Ziehen in meinen Eingeweiden. Sie zaust mir wieder das Haar. »Inmitten dieser Tragödie wirst du erwachsen, kleine Wicke, und das ist so wunderbar.«
    Stöhn.

20. Kapitel
    »LENNIE! LENNIE! LENNNNNNNIE! Gott, hast du mir gefehlt!«
    Ich halte das Handy vom Ohr weg. Sarah hatte mir nicht zurückgesimst, also hatte ich angenommen, sie sei so richtig angepisst. Ich unterbreche sie, um das anzubringen, und sie antwortet: »Ich bin wütend! Und ich rede nicht mit dir!«, dann stürzt sie sich in all den Sommertratsch, den ich verpasst habe. Ich sauge alles auf, allerdings ist mir nicht entgangen, dass echte Giftigkeit in ihren Worten steckte. Ich liege auf meinem Bett, total fertig, nachdem ich zwei Stunden ohne Unterbrechung Cavallinis Adagio und Tarantella geübt habe – es war unglaublich, als würde die Luft zu Farbe werden. Ich musste an das Charlie-Parker-Zitat denken, das Mr James so gern anbringt: Wenn du es nicht lebst, kann es auch nicht aus deinem Horn kommen . Ich musste auch daran denken, dass ich vielleicht doch ins Sommerorchester gehe.
    Sarah und ich verabreden uns am Flying Man’s. Ich brenne darauf, ihr von Joe zu erzählen. Von Toby nicht. Wenn
ich nicht drüber rede, kann ich einfach so tun, als wäre nichts passiert.
    Sie liegt auf einem Felsen in der Sonne und liest Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht – als Vorbereitung ihrer äußerst vielversprechenden Aufreißexpedition zum feministischen Symposium des Women’s Studies Fachbereichs der State University. Sie springt auf, als sie mich sieht, und umarmt mich wie verrückt, obwohl sie völlig nackt ist. Wir haben hier hinter dem Flying Man’s unseren eigenen geheimen Pool und Miniwasserfall, zu dem wir schon seit Jahren kommen. Wir haben beschlossen, dass Badekleidung hier optional ist, und wir optieren für den Verzicht.
    »Mein Gott, das ist ja ewig her«, sagt sie.
    »Es tut mir so leid, Sarah«, sage ich und erwidere

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