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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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staune, dass wir uns alle noch auf den Beinen halten.«
    Ich kann gar nicht fassen, wie bereitwillig Grama das abtut und mir die Absolution erteilt. Vor Dankbarkeit möchte ich ihr vor die Füße fallen. In dieser Sache hat sie sich ganz bestimmt nicht mit Joe beraten, aber seine Worte tun nun weniger weh, und deswegen bringe ich den Mut auf zu fragen: »Glaubst du, dass sie mir das je verzeihen würde?«
    »O, meine kleine Wicke, verlass dich drauf, das hat sie längst getan.«
    Grama droht mir mit dem Finger. »Joe wiederum, das ist eine andere Geschichte. Der wird Zeit brauchen …«
    »So etwa dreißig Jahre«, sage ich.
    »Oho – armer Junge, das war vielleicht ein Anblick, Lennie
Walker.« Grama guckt mich verschmitzt an. Sie ist wieder keck wie eh und je. »Ja, Len, wenn du und Joe Fontaine siebenundvierzig seid -«, sie lacht. »Dann werden wir eine wunderwunderschöne Hochzeit vorbereiten -«
    Mitten im Satz hält sie inne, sie muss mein Gesicht gesehen haben. Ich will ihr die gute Laune nicht verderben und strenge jeden Muskel an, um mein gebrochenes Herz zu verbergen, aber diese Schlacht verliere ich.
    »Lennie.« Sie kommt rüber zu mir.
    »Er hasst mich«, sage ich.
    »Nein«, sagt sie voller Wärme. »Wenn es je einen verliebten Jungen gegeben hat, Schatz, dann ist es Joe Fontaine.«

    (Gefunden auf der Rückseite eines Umschlags auf dem Pfad zum Waldschlafzimmer)

33. Kapitel
    ALS DER TEE in den Bechern und das Fenster offen ist und Grama und ich entspannt im schwindenden Licht sitzen, sage ich leise: »Ich möchte mit dir über etwas reden.«
    »Nur los, kleine Wicke.«
    »Ich will über Mom reden.«
    Sie seufzt, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich weiß.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust, hält beide Ellenbogen fest und wiegt sich. »Ich war oben auf dem Dachboden. Du hast den Kasten auf ein anderes Regalbrett gestellt -«
    »Ich hab nicht viel gelesen … tut mir leid.«
    »Nein, mir tut es leid, in den letzten Monaten hab ich mit dir über Paige reden wollen, aber …«
    »Ich hab dich nicht reden lassen.«
    Sie nickt kaum merklich. So ernst habe ich ihr Gesicht noch nie gesehen. »Bailey hätte nicht sterben dürfen, ohne mehr über ihre Mutter zu wissen.«
    Ich senke den Blick. Das ist wahr – es war ein Irrtum zu denken, Bailey würde nicht alles wissen wollen, was ich weiß, ob es nun wehtut oder nicht. Ich fahre mit den Fingern
durch die Überreste von Sturmhöhe und warte darauf, dass Grama spricht.
    Als sie es tut, ist ihr Ton angespannt, gepresst. »Ich dachte, ich würde euch Mädchen beschützen, aber mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nur mich selbst beschützt habe. Es ist so schwer für mich, über sie zu sprechen. Je besser ihr Mädchen sie kennt, hab ich mir gedacht, desto größer der Schmerz.« Sie fegt einen Teil des Buches zu sich heran. »Ich habe mich auf die Rastlosigkeit konzentriert, damit ihr Mädchen euch nicht so verlassen fühlt, damit ihr Paige keine Vorwürfe macht oder – schlimmer noch – euch selbst etwas vorwerft. Ihr solltet sie bewundern. Das ist alles.«
    Das ist alles? Hitze steigt in meinem Körper auf. Grama streckt ihre Hand nach meiner aus. Ich rutsche von ihr weg.
    »Du hast dir einfach eine Geschichte ausgedacht, weil wir uns nicht verlassen fühlen sollten …« Ich schaue ihr in die Augen und weiche trotz des Schmerzes in ihrem Gesicht nicht aus. »Aber wir wurden verlassen, Grama, und wir wussten nicht, warum, wussten gar nichts über sie, abgesehen von einer verrückten Geschichte.« Mir ist danach, eine Faustvoll Sturmhöhe zusammenzuraffen und sie damit zu bewerfen. »Warum sagst du nicht einfach, sie ist verrückt, wenn das so ist? Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt, egal, wie die aussieht? Wäre das nicht besser gewesen?«
    Sie packt mein Handgelenk, fester als beabsichtigt, glaube ich. »Aber es gibt nicht nur eine einzige Wahrheit, Lennie, die gibt es nie. Was ich euch erzählt habe, war nicht einfach irgendeine Geschichte, die ich mir ausgedacht hatte.« Sie versucht, ruhig zu sein, aber ich spüre, dass sie nur
Augenblicke davon entfernt ist, zu doppelter Größe anzuwachsen. »Ja, es ist wahr, dass Paige kein in sich gefestigtes Mädchen war. Wenn man alle Äste in der Krone hat, wird man wohl kaum zwei kleine Mädchen verlassen und einfach nicht wiederkommen.« Da sie nun meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat, lässt sie mein Handgelenk los. Sie schaut sich wild im Raum um, als ob die Worte, die sie

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