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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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SCHIESSE DEN FLUR entlang und zur Tür hinaus, springe alle vier Stufen der Veranda runter. Ich will in die Wälder rennen, vom Pfad abweichen und einen Platz finden, an dem niemand mich aufspüren kann. Dort will ich mich unter eine knorrige Eiche setzen und weinen. Weinen, weinen, weinen und weinen, bis die Erde des ganzen Waldes zu
Matsch geworden ist. Aber als ich den Pfad erreiche, merke ich, dass ich es nicht kann. Ich kann nicht von Grama weglaufen, erst recht nicht nach allem, was sie eben gesagt hat. Denn ich weiß, dass sie recht hat. Sie und Big waren so was wie Hintergrundgeräusche für mich, seit Bailey gestorben ist. Ich habe kaum einen Gedanken darauf verschwendet, was sie durchmachen. Toby habe ich mir zu meinem Verbündeten im Schmerz erkoren, als ob er und ich das Exklusivrecht auf Trauer hätten, das Exklusivrecht auf Bailey selbst. Ich denke an die vielen Male, wo Grama in der Tür zum Allerheiligsten gestanden und versucht hat, mich dazu zu bringen, über Bailey zu reden, wie sie mich gebeten hat, runterzukommen und eine Tasse Tee zu trinken. Ich hatte immer gedacht, sie wolle mich trösten. Nie ist mir in den Sinn gekommen, sie könnte es selbst brauchen zu reden, sie könnte mich brauchen.
    Wie hatte ich nur so achtlos mit ihren Gefühlen umgehen können? Und mit Joes? Und denen aller anderen?
    Ich atme tief durch, drehe mich um und mache mich auf den Weg zurück zur Küche. Bei Joe kann ich nichts mehr retten, aber bei Grama kann ich es wenigstens versuchen. Sie sitzt noch immer auf demselben Stuhl am Tisch. Ich stelle mich vor sie auf die andere Seite, lege die Hände auf die Tischplatte und warte darauf, dass sie zu mir aufschaut. Kein Fenster ist offen und die heiße, stickige Küche riecht fast schon faulig.
    »Es tut mir leid«, sage ich. »Wirklich.« Sie nickt und guckt runter auf ihre Hände. In den letzten Monaten habe ich alle, die ich liebe, verletzt oder verraten, denke ich.
Grama, Bailey, Joe, Toby, Sarah, sogar Big. Wie hab ich das geschafft? Ich glaube, vor Baileys Tod habe ich eigentlich nie jemanden enttäuscht. Hat Bailey sich um alles und jeden für mich gekümmert? Oder hat vorher einfach nie jemand was von mir erwartet? Oder hab ich nur nie etwas gemacht oder gewollt und hab ich deshalb nie die Konsequenzen meiner vermurksten Taten tragen müssen? Oder bin ich wirklich egoistisch geworden und nur mit mir beschäftigt? Oder trifft alles Obengenannte zu?
    Ich guck mir die kränkliche Lennie-Topfblume auf dem Küchentresen an und bin mir ganz sicher, dass ich das nicht mehr bin. Das war ich einmal, früher, und deshalb stirbt sie jetzt. Dieses Ich gibt es nicht mehr.
    »Ich weiß nicht, wer ich bin«, sage ich und setze mich. »Ohne sie kann ich nicht mehr sein, wer ich war, und wer ich werde, ist ein totales Desaster.«
    Grama leugnet das nicht. Sie ist immer noch wütend, nicht mehr drei Meter sechzig wütend, aber ziemlich wütend.
    »Nächste Woche könnten wir in die Stadt fahren, Mittag essen und den ganzen Tag zusammen verbringen«, sage ich und komm mir schäbig vor, weil ich mit einem Mittagessen aufwiegen will, dass ich sie monatelang ignoriert habe.
    Sie nickt, denkt aber an etwas anderes. »Nur damit du es weißt, ohne sie weiß ich auch nicht, wer ich bin.«
    »Wirklich?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nee. Sobald du und Big aus dem Haus seid, stehe ich jeden Tag nur vor einer leeren Leinwand und denke, wie angewidert ich doch von der Farbe
Grün bin, wie mich jede einzelne ihrer Schattierungen anekelt oder enttäuscht oder mir das Herz bricht.« Traurigkeit erfüllt mich. Ich stelle mir vor, wie all die grünen, gertenschlanken Frauen von ihren Leinwänden gleiten und sich zu unserer Haustür hinausschleichen.
    »Versteh ich«, sage ich leise.
    Grama schließt die Augen. Ihre Hände liegen gefaltet vor ihr auf dem Tisch. Ich lege meine Hand auf ihre und sie nimmt sie schnell zwischen ihre Handflächen.
    »Es ist furchtbar«, flüstert sie.
    »Das ist es«, sage ich.
    Das Licht des frühen Nachmittags fließt durch die Fenster ab und hinterlässt lange, dunkle Zebraschatten im Raum. Grama sieht alt und müde aus, und das macht mich ganz verzweifelt. Bailey, Onkel Big und ich sind ihr ganzes Leben gewesen, abgesehen von ein paar Generationen von Blumen und einer Menge grüner Gemälde.
    »Weißt du, was ich noch hasse?«, sagt sie. »Ich hasse es, wenn mir alle immerzu sagen, dass ich Bailey in meinem Herzen trage. Ich möchte sie anbrüllen: Da will ich sie nicht

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