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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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Geste weist er den Hügel hinunter, dorthin, wo Toby und ich in jener Nacht gestanden haben, und sagt: »Was. Hast. Du. Erwartet?« Was hab ich denn erwartet? In einem Moment versucht er mir zu sagen, dass er mich liebt, und im nächsten sieht er, wie ich einen anderen Typen küsse. Selbstverständlich fühlt er so.
    Ich muss etwas sagen, also sage ich das Einzige, was in meinem verwirrten Herzen einen Sinn ergibt. »Ich bin so verliebt in dich.«
    Meine Worte hauen ihn um.
    Es ist, als ob um uns herum alles innehält, um ja nicht zu verpassen, was als Nächstes passiert – die Bäume beugen sich vor, Vögel fliegen auf der Stelle, Blumen halten die Blütenblätter still. Bleibt ihm etwas anderes übrig, als sich dieser verrückten großen Liebe zu ergeben, die wir beide fühlen? Das ist doch nicht möglich, oder?
    Ich strecke meine Hand aus, will ihn berühren, aber er zieht seinen Arm aus meiner Reichweite.
    Er schüttelt den Kopf, schaut auf den Boden. »Ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der mir so was antut.« Dann sieht er mir direkt in die Augen und sagt: »Ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der seiner Schwester so was antut.«

    Diese Wörter haben die Kraft einer Guillotine. Ich taumele zurück, zersplittere in tausend Stücke. Seine Hand zuckt vor seinen Mund. Vielleicht wünscht er sich, die Worte zurückzunehmen. Vielleicht denkt er, er ist zu weit gegangen, aber es spielt keine Rolle. Ich sollte es kapieren und ich hab’s kapiert.
    Ich tu das Einzige, was möglich ist. Ich drehe mich um und renne weg von ihm, hoffe, dass meine zitternden Beine mich tragen, bis ich geflohen bin. Wie Heathcliff und Cathy hatte ich den Big Bang, die Liebe meines Lebens, und ich hab alles zerstört.
     
    Ich will nur noch hoch ins Allerheiligste, damit ich mir die Decke über den Kopf ziehen und für mehrere Hundert Jahre verschwinden kann. Außer Atem vom Rennen stürze ich durch die Haustür. Ich fege an der Küche vorbei, komme aber zurück, als mein Blick auf Grama fällt. Mit vor der Brust verschränkten Armen sitzt sie am Küchentisch, ihr Gesicht ist hart und streng. Vor ihr auf dem Tisch liegt ihre Gartenschere und mein Exemplar von Sturmhöhe .
    Uh-oh.
    Sie kommt sofort zur Sache. »Du hast ja keine Ahnung, wie nah ich dran war, dein kostbares Buch in Stücke zu schneiden, aber ich hab mich im Griff und ich habe Respekt vor den Sachen anderer Leute.« Sie steht auf. Wenn Grama wütend ist, nimmt sie praktisch doppelte Größe an und geballte drei Meter sechzig stampfen quer durch die Küche direkt auf mich zu.
    »Was hast du dir dabei gedacht, Lennie? Du kommst daher
wie Gevatter Tod und mähst meinen Garten nieder, meine Rosen . Wie konntest du nur? Du weißt genau, dass ich es nicht mag, wenn jemand meine Blumen anfasst. Das ist nun wirklich das Einzige, das ich verlange. Das und mehr nicht.«
    Drohend ragt sie über mir auf. »Und?«
    »Die wachsen wieder nach.« Ich weiß, ich hab das Falsche gesagt, aber der Heute-schreien-wir-Lennie-an-Tag fordert seinen Tribut.
    Sie wirft die Arme hoch, ist völlig außer sich über mich, und plötzlich fällt mir auf, wie viel Ähnlichkeit ihr Mienenspiel und Gefuchtel mit dem von Joe hat. »Darum geht es nicht, und das weißt du.« Sie zeigt auf mich. »Du bist ziemlich egoistisch geworden, Lennie Walker.«
    Damit hab ich nicht gerechnet. Noch nie im Leben hat mich jemand egoistisch genannt, erst recht nicht Grama – der nie versiegende Brunnen des Lobens und Hätschelns. Treten sie und Joe grad beim selben Prozess als Zeugen auf?
    Kann dieser Tag noch schlimmer werden?
    Ist die Antwort darauf nicht immer Ja?
    Gramas Hände sind jetzt auf ihren Hüften, ihr Gesicht ist gerötet, die Augen funkeln, ojeoje – ich lehne mich gegen die Wand, mache mich auf den bevorstehenden Angriff gefasst. Sie beugt sich über mich. »Jawohl, Lennie. Du benimmst dich, als wärst du die Einzige in diesem Haus, die jemanden verloren hat. Sie war wie meine Tochter, weißt du, wie sich das anfühlt? Weißt du das? Meine Tochter . Nein, du weißt es nicht, du hast ja nicht ein Mal gefragt. Nicht ein einziges Mal hast du gefragt, wie es mir geht. Ist
dir je in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht das Bedürfnis haben könnte zu reden?« Jetzt brüllt sie. »Ich weiß, dass du am Boden zerstört bist, Lennie, aber du bist nicht die Einzige.«
    Die ganze Luft saust aus dem Raum und ich sause mit.

32. Kapitel

    (Gefunden auf einem Bonbonpapier auf dem Pfad zum Rain River)
    ICH

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