Ueberdog
ein wirklicher Fluss, mit Windungen, Kurven und eleganten Schwüngen. Und dass schon kurz hinter Blankenese dieserFluss selber zum Meer wird, großzügig und nährend und alles enthaltend, was zum Leben nötig ist.
Kühn standen wir über dem Wasser, auf einem Bug, der Richtung Meer zielte, Könige der Welt. Und unsere Titanic konnte nicht untergehen, weil sie noch nicht einmal fertig war.
»Nicht schlecht«, sagte Paul in seiner erfrischend maulfaulen Art.
»Die schmeißen uns hier morgen früh wieder raus«, unkte Zebra. »Ist doch immer so. Die haben die Macht.«
»Hier wird schon seit Monaten nicht mehr gebaut«, sagte ich. »Da fangen die morgen auch noch nicht an.«
Es war ausgerechnet Zork, der mir zur Seite sprang; mit seiner Hilfe hätte ich am wenigsten gerechnet. Majestätisch schlug er mit den Flügeln seines Ledermantels. Dann sagte er: »Und wenn sie zu schnell sind, pissen wir ihnen in den Zement.«
Einen Karton Haushaltskerzen hatte ich mitgebracht. Später kamen Chuck und Betty die Treppe hinauf, unter den Armen vier Ballen Dämmwolle. Sie schoben die weichen Kissen zu Matratzen zusammen; Schmiddel wies ihnen die Plätze zu. Dynamisch arrangierte er sie im Raum. Bevor er fertig war, war Betty schon auf einem der Lager eingeschlafen.
Schließlich kam die Stille. Es war nicht die Abwesenheit von Lärm, die diese Stille so stark machte, so jenseitig; es war ihre Dichte , die aus komprimierter Weite bestand. Es fühlte sich an, als wären die Längen- und Breitengrade der Welt in diesem Punkt verknotet. Es war die göttliche Stille , die anzeigt, dass Engel im Raum sind.
13
Ab jetzt streifte ich die Wohnung in der Bernstorffstraße nur noch im Vorübergehen, so wie man mitten am prallsten Ferientag, mit vor Licht glühendem Kopf, das Hotelzimmer aufsucht, um für einen Moment den Sand abzuschütteln, im Schatten zu ruhen und sich dann zum Abendessen umzuziehen. Ich legte mir sogar einen Wäschevorrat an, in einem leeren Karton auf der dreiundzwanzigsten Etage.
Ich hatte meine Villa Malaparte gefunden, mein Schloss Duino, meine Factory. Hier konnte höchster Glanz auf tiefste Düsternis treffen, konnten Überwesen sich verlieren und Verlorene über sich hinauswachsen. Ich hörte Pauls komplexen, muskulösen Reden zu, seinen Ausbrüchen aus allen Konventionen. »Im Winter bläst mancher das Horn«, sagte er und riss die Augen auf. »Und im Sommer soll’s das gewesen sein.«
Manchmal blieb Paul wochenlang in seiner Klause, unten im alten Kaispeicher, in den Räumen, in denen einmal das Klingende Museum einziehen sollte, die musikpädagogische Einrichtung für die ganze Familie. Wir störten ihn nicht, wollten nicht wissen, was er dort unten trieb, machten uns keine Sorgen um seine Ernährung. »Vielleicht geht er nachts raus«, vermutete Schmiddel. Ich war unsinnig gerührt, und vorsichtig umarmte ich ihn, bis ich spürte, dass er starr wurde und zu schwitzen begann.
Ich stellte fest, dass meine Fotos keine Anstrengung mehr brauchten, keine Entscheidung. Ich drückte jetzt ab, wie man beim Tanz in die Hände klatscht. Hier war es unmöglich, schlechte Fotos zu machen; und so wurde mir das Fotografieren zum Kreislauf, zum Stoffwechsel, der ohne Bewusstsein ein Ding in ein anderes verwandelte.
Ich nahm kaum noch wahr, was ich fotografierte. Ich wurde zur Allesfresserin. Ich fotografierte Chucks Grinsen, sein Flimmern zwischen Boshaftigkeit und unwiderstehlicher Freundlichkeit. Ich fotografierte Paul, wie er Palettenstapel türmte, dann ganz oben thronte wie ein Fakir und in eine Cabanossi biss. Ich verschlang das Leben und überließ die Verdauung der Kamera, die es einspeichelte, mit Enzymen versetzte und aufspaltete in Nahrhaftes und Auszuscheidendes.
Patricks reuige Anrufe gingen ins Leere. Mein Smartphone verlieh ich je nach Bedarf an Chuck, Zebra oder Schmiddel, die einander fotografierten oder filmten, bis der Akku leer war. Auch mein Zeitgefühl verlor ich schneller, als ich erwartet hatte; die Tage und Nächte, die ich fast ohne Unterbrechung in der Elbphilharmonie verbracht hatte, wollte ich schon bald nicht mehr zählen. Schon der Unterschied zwischen Tag und Nacht war kaum noch von Bedeutung, umso weniger der zwischen Sonntag und Montag.
Die Tage verbrachten wir in unserem Schloss im Fluss, im kühlen, erdigen Geruch nackten Betons; Chuck schlafend, die langen Wimpern über den weichen, vom Bart umwucherten Wangen. Am späten Nachmittag rieben wir uns die Augen, setzten die nackten
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