Ueberdog
Füße auf den körnigen Boden, liefen am Fleet entlangbis zum Jungfernstieg. Im Vorübergehen probierten wir Barry-Taschen an, Hüte von Burmester & Senefeld, Gürtel von Capo d’Astra. Wahrer Luxus war ein Wirbelwind, ein Flash; eine Sache des Moments, nicht der Dauer.
Am Alsterpavillon saßen wir auf den Pollern, sahen im gelben Abendlicht Segelbooten zu, über ihnen durchsichtiger Himmel, nur noch zarte Membran. Schließlich fiel Dunkelheit über den See. Wir schlenderten hinüber zum Yachtclub, schaukelten noch eine Weile auf den Booten, deren Besitzer längst bei Krabbencocktail und Weizenbier auf dem Terrassenponton saßen und Immobilienpreise verglichen; Zorks Beine unter den hochgekrempelten Hosen schimmerten aristokratisch bleich im Abendlicht.
Später, wenn die Verkäuferinnen in der Altstadt seufzend die Ladentüren abschlossen, kehrten wir zurück in die Geschäftsstraßen, die jetzt unser Eigentum waren. Scheppernd hallten unsere Schritte durch die Colonnaden, dumpf über den Neuen Wall, hell an den Wasserflächen der Alsterarkaden. Manchmal machten wir Rast am Mönckebergbrunnen; »Wow«, seufzte ich selig, »la dolce vita.« Und Zebra zog die Stiefeletten aus, löste die Haare, raffte ihre zahllosen Röcke, stieg mit Storchenbeinen ins Wasser und tauchte schaumgeboren aus den Fluten empor.
Ich sah die Augen der Menschen, die aus den Kinos geströmt kamen, um noch ein Glas im Neydhardt’s oder im Sotto Voce zu nehmen. Und ich konnte in diesen Augen, wenn sie dann Zebras Ekstase zusahen, ihrem Schleiertanz mit den Geweben des Wassers, die Sehnsucht nach dem besseren Leben lesen und den Kampf gegen diese Sehnsucht, die von ihnen verlangt hätte, ihr Leben zu ändern.
Manchmal stärkten wir uns kurz bei einer Vernissage, die am Weg lag. Wir standen im Neonlicht, schauten aus gebräunten Gesichtern auf graue, mühsam gespannte Häute. Wir kippten den Wein noch am Serviertisch die Kehlen hinab und griffen dabei mit der Linken schon nach dem nächsten Glas.
Wir kamen und gingen gemeinsam, ängstlich und ehrfürchtig bestaunt. Die anderen Gäste machten uns den Weg frei, hoben ihre Weingläser wie einen Abwehrzauber. Wenn der Auftritt rund war, wenn nichts mehr zu sehen und zu zeigen war, gab Schmiddel das Zeichen zum Aufbruch, und wir zogen weiter zu unserer nächsten ersehnten, gefürchteten Heimsuchung.
Eines Abends traf ich, in einer Gruppenausstellung bei Klemke & Klemke , auf Gesine Speyerling. Gesine trug ein langes perlmuttfarbenes Kleid von Takemitsu und aufgesteckte Haare, dazu ein Halstuch in Tarnfarben. Sie sah aus wie die Witwe eines Kamikaze-Fliegers. Ich erkannte sie nicht gleich, und auch sie hatte Mühe, mich einzuordnen; »Stella«, sagte sie schließlich, tonlos, wie zu einem Geist, den man nicht wecken darf.
»Gesine«, sagte ich heiter. »Geht’s dir gut. Was machst du.«
Gesine sah mich an, als dächte sie über eine absurde Frage nach. Sie sah an mir herunter, an meinem Trenchcoat, den weiche Flecken sprenkelten wie Schatten von Sommerlaub; er harmonierte mit Gesines Tarnhalstuch. Sie musterte mich, als könnte sie an meiner Kleidung, meinem Teint etwas ablesen; die Antwort auf eine Frage, die ihr partout nicht einzufallen schien.
»Wo kommst du her«, fragte sie schließlich, offenbar dankbar für ihren Geistesblitz. »Warst du auf Reisen.«
Ich musste grinsen. »Wie man’s nimmt«, sagte ich. Ich rochihre Kosmetik, ihren Duft nach Badezimmer, nach Arrogance von Chloe Sarrazin.
»Ja«, sagte ich dann, um des Friedens willen. »Schon.«
Sie sah mir nicht ins Gesicht. Sie ließ jetzt ihren Blick auf meine Schuhe sinken, meine Vintage-Sneakers von Maldorada, die binnen weniger Wochen so sehr Vintage geworden waren, dass man sie als Maldorada kaum noch erkannte. Lächelnd und hilfesuchend sah sie sich um; ihr Blick fiel auf Paul und Zork. Einträchtig steuerten die beiden auf uns zu, mit frisch gefüllten Gläsern, in denen der Wein grünlich strahlte.
»Ihr kennt euch«, fragte ich. »Das ist Zork, und das ist Paul. Und das ist Gesine Speyerling.« Ich nickte ihr zu und wandte mich, mit einer Stimme, die nachsichtiger klang, als ich wollte, an Paul und Zork: »Ihr gehört die Agentur Evidence. Wenn ihr mal ein Event organisieren müsst, eine Ladeneröffnung, eine Modenschau – das ist eure Frau.«
Ich lächelte Zork zu, doch es war schon zu spät. Längst hatte Zork die Angst gewittert, die durch Gesines Kosmetik quoll, durch die reinliche Schicht aus Creme und
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