Ueberdog
elegant an einem Motorrad lehnte, mit feinem Lächeln und diagonal gestrecktem Arm. Funkelnd starrte er in die Kamera; dann ruderte er mit den Armen, und die Maschine durchstieß das hölzerne Geländer, taumelte graziös und verschwand unerwartet stumm in der Nacht.
Zebra lachte, den Tränen nahe. Sie umarmte Zork und gleich darauf Chuck; sie umarmte Schmiddel, Paul, Betty und sogar mich. Sie umarmte auch den Mann vom Ordnungsamt, der plötzlich dort aufragte, wo eben noch das Motorrad gestanden hatte.
»Du bist ein Planet«, sagte ich zu Schmiddel, »und gleich stößt du mit der Erde zusammen.«
Und Schmiddel lachte.
11
Schon nach drei Wochen verlor ich meine Allergien gegen Brennnessel-, Beifuß- und Spitzwegerichpollen. Chucks freches Lachen, Pauls moortiefe, somnambul braune Augen stifteten mich wie nie zuvor zu Einfällen an. Und ich wusste wieder, dass genug nicht genug war und mehr immer noch mehr.
Bald merkte ich, dass die Kreuzfahrt die Gang auf neue Ideen gebracht hatte. Wo vorher Revierverhalten geherrscht hatte, wuchs nun die Lust an zielloser Bewegung, am dérive , wie der arme Patrick sagen würde. Von nun an verbrachten wir unsere Tage unterwegs. Ohne Unterlass liefen wir durch die Straßen, sonnengebräunt und mediterran. Wir sprachen nicht viel; wir ließen unsere Blicke sprechen, unseren Duft nach Trüffeln. Oder wir trugen Sonnenbrillen, die ich nach Schmiddels Vorbild im Drogeriemarkt gekauft hatte: »ZZ Top«, rief uns ein Tankwart an der Fruchtallee hinterher. Wir waren lässig, entspannt, unangestrengt und gut gelaunt; wir bewegten uns mit der Leichtigkeit, die aus harter Arbeit kommt.
Wir verließen die gewohnten Bahnen, eroberten Neuland. Wir brachen zu Reisen ins Unbekannte auf, ans Ende der Vernunft. In schöner Ziellosigkeit liefen wir nebeneinander her; bog ich an einer Kreuzung links ab, schlugen die anderen den Weg nach rechts ein. Gab einer ein Kommando, folgten dieanderen der Gegenrichtung, und auch ich hatte jede Abzweigung schon an der nächsten vergessen.
Von jeder Nebenstraße ließ ich mich überraschen. Ich war aus meiner chronischen Aufmerksamkeit entlassen, wanderte befreit ihrem Lärmen und Singen hinterher. Zeigte eine Ampel Rot, setzten wir uns in Bewegung, und sobald wir eine Gaststätte wiedererkannten oder einen Supermarkt, hielten wir an und machten kehrt.
Wir liefen Ausfallstraßen entlang, durchquerten Wohnviertel mit Taxushecken, umrundeten Klärwerke und Kleingartenkolonien. Unvermittelt standen wir am Verkehrsübungsplatz, am Freimaurerkrankenhaus, am Deutschen Zusatzstoff-Museum. Selbstbewusst betraten wir die Norwegische Seemannskirche, die Oberfinanzdirektion, das Hafenterminal Toller Ort. Wenn wir wieder auf der Straße standen, rieben wir uns die Augen; längst hatten wir die Orientierung verloren. Nur eine Kette von Zufällen brachte uns wieder zurück zur Brücke.
So floss die Stadt auseinander unter unseren Schritten, trat schäumend und glitzernd über die Ufer. Sie verwirrte sich und bildete neue Knoten. Mit der U-Bahn ritten wir durch die Stadt wie Adelige über unsere Ländereien. Weitläufig verteilten wir uns über die Waggons, riefen uns über die Sitzreihen hinweg Sprüche zu. Manchmal bestiegen wir am Dammtor um 15 Uhr 05 den IC 2171, der von Westerland nach Stuttgart fuhr, bestellten im Bordrestaurant Bœuf Stroganoff und Dornfelder. Wir blickten auf die glänzende Alster, die Deichtorhallen und die Hafenanlagen, zeigten hinüber zur majestätischen Köhlbrandbrücke. Um 15 Uhr 38, bevor der Kellner mit der Rechnung kommen konnte, stiegen wir am Bahnhof Harburg wieder aus.
An heißen Tagen ging Zork mit Paul auf Frauenjagd. Er flüsterte auf Paul ein, gab ihm einen Stoß in die Rippen und schickte ihn ins Feld; Paul näherte sich den Frauen frontal und begann zu deklamieren. Ich sah die Ehrfurcht in ihren Gesichtern; nur noch drei Sätze, dachte ich, und sie schalten ihre Handys aus. In dem Moment kam Zork aus der Deckung und übernahm das Wort. Ich sah, wie die Frauen erleichtert lachten. Dann lachte auch Zork, bot den Frauen den Arm. Paul aber schaute längst einem Vogel hinterher, dem Blinken einer Ampel.
12
Eines Morgens fand ich die Wohnung in der Bernstorffstraße leer. Das Bett war benutzt, aber nicht mehr warm; die Unordnung der Laken konnte auch noch vom Vortag stammen. Ich war nicht müde; vergeblich suchte ich nach einer Tiersendung im Fernsehen, dann warf ich die letzte Staffel von »Born Pretty« ein. Der Kaffee aus der
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