Ueberdog

Arrogance . Er trat noch einen Schritt näher an Gesine heran; umweglos musste sein Weinhauch jetzt in ihre Nase strömen.
    »Für eine kleine Modenschau sind wir immer zu haben«, gurgelte er. »Vor allem Unterwäsche. Was trägt man denn heute da so?« Und er senkte seine zartrote, immer wieder überraschend kleine Nase tief in den Ausschnitt ihres Etwas von Takemitsu.
    Gesine tat mir leid. Doch ich konnte nichts tun, um die Situation zu entschärfen. Zork tat, was er wollte; er war ein Herr von eigenen Gnaden. Wahrscheinlich lachte ich sogar etwas zu laut, denn Zork hob die Nase aus Gesines Dekolleté, stieß Paul mitdem Ellbogen an, dass sein Wein in die Luft spritzte. Sommerregen sprühte auf Gesines Kleid.
    Zork wandte sich anderen Zielen zu. Paul folgte ihm; ich blieb allein mit Gesine. Sie blickte den beiden hinterher, atmete tief und innig durch, fast versonnen, aber rührte sich nicht vom Fleck. Es war zu viel geschehen, um einfach weiterzugehen.
    Wir standen voreinander und suchten nach Worten. Ich sah, wie sie versuchte zu begreifen. Ich sah, dass sie mich nicht verstand; dass sie rätselte, ob sie mich bewundern, bemitleiden oder beneiden sollte.
    »Was macht Brenda Stern«, fragte ich unbarmherzig. »Hast du Harold Breuninger gesehen.«
    Gesine antwortete nicht. Dann sah sie wieder Paul und Zork hinterher. Ich sah ihre Augen, ihr gerötetes Gesicht; fast sah sie verträumt aus. Schließlich erlöste uns Schmiddel aus unserem Patt. Er sprach kein Wort, aber sein Blick sagte: »Wir müssen gehen.« Aus seiner rechten Faust ragte ein Stapel Visitenkarten.
    »Ein Satz neue Karten«, murmelte er vor der Tür, versonnen, mehr zu sich selbst als zu uns. »Wie beim Poker.«

    Später fielen wir mit langen Schritten über die Alsterwiesen her, über den Elbstrand, wo jetzt, wie in den Zeiten der Rauchzeichen, eine endlose Kette von Feuern aufloderte, unterhalten von Männern mit Baseballmützen auf den schütteren Haaren, bewundert von Hanseatinnen mit glänzenden Schultern. Manchmal stand zwischen zwei Feuern ein Gartengrill, umzingelt von Praktikern mit glühenden Gesichtern, feuerfesten Schürzen und Petroleum-Anzündern in den zupackenden Händen. Aus den rosa Papierverpackungen von Niemeyer oder Kothenschultewickelten sie Koteletts, Nackensteaks und bleiche, wippende Würste. Je dunkler die Nacht wurde, desto mehr Neuankömmlinge scharten sich um die Feuer; knapp grüßend kamen sie von Neumühlen oder Teufelsbrück her, mit Sixpacks und beidhändig getragenen, schwankenden Plastiktüten. Es waren Karawanen, und so war es für uns ein Leichtes, uns einzureihen.
    Wir sanken mit ihnen in den Sand. Wir lächelten sanft und unergründlich. Von Zeit zu Zeit baten wir einen aufspringenden Nachbarn, uns eine Krakauer oder einen Chicken Wing vom Grill mitzubringen. Im Übrigen hielten wir Abstand zu den Gastgebern, die das Grillgut verteilten und wussten, wer eingeladen war. Nur Paul schlurfte oft wie ein Schlafwandler auf den Grill zu, ließ die Hand lange und unschuldig kreisen, bevor er einen in Zitrone und Senf marinierten Tofuburger wählte.
    Doch je später es wurde, desto durchlässiger wurden die Grenzen. Bald saßen wir ohne Anstrengung im Zentrum des Geschehens. Wir waren umringt von Männern, die sich hoffnungsvoll unter Zebras herrische Launen duckten, und von Frauen, die unter Zorks großherzigen Beleidigungen kichernd zerschmolzen. Die Bierkästen, zur Kühlung abseits im Wasser gelagert, waren für alle da; Chuck, der einen kräftigen Brauenknochen besaß, brauchte nicht einmal einen Flaschenöffner. Es war unnötig, Vorräte zu sammeln, denn die Reihe der Feuer war lang.
    Manchmal arbeiteten wir uns so bis zum Falkensteiner Ufer vor. Manchmal scherten wir schon in Teufelsbrück aus, machten Rast auf irgendeinem Kinderspielplatz, um wieder zu uns zu finden. Wir legten ein paar schweigende Runden auf der Wippe ein, rotierten versunken auf hölzernen Federsitzen oder sahenPaul zu, der unter dem Kletternetz einen Igel gefunden hatte und mit zärtlich zitternden Händen aufhob, um ihn ins Gebüsch zu tragen.
    Später nahmen wir die letzte U 3 Richtung Barmbek oder einen Nachtbus, dessen Fahrer unsere abgelaufenen Fahrscheine nur flüchtig musterte, stiegen über den Zaun des Stadtparkbads. Lachend fielen wir ins Gras der Liegewiese; Nachtigallen jubelten auf. Paul tat es ihnen nach, klemmte einen Grashalm zwischen die Daumen und blies Klagelaute durch den Spalt. Zork und Chuck packten ihn an Armen und