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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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alttestamentarisch vergoldet, im Schein des Grillfeuers.
    »Eine Glasfassade aus tausendeinhundert Fenstern«, fuhr ich fort. »Gebogene Fenster, mit Rasterpunken aus Chrom bedruckt. Die ganze Fassade so groß wie drei Fußballfelder.«
    Es war Schmiddel, dessen Wort schließlich, wie immer, den Ausschlag gab. »Gibt’s da Mücken?«, fragte er.
    »Zu hoch«, sagte ich und schüttelte strahlend den Kopf.
    Im Abendlicht erreichten wir das Gebäude. Der Pförtner, der hinter seiner schmalen Sichtluke schwarze Zigaretten rauchte, konnte unseren Anmarsch nicht verfolgen. Großräumig umkurvten wir sein Blickfeld, schlichen den Bauzaun entlang, stiegen am Ende des Gitters auf die Mauer. Als meine Füße nach einem kurzen Balanceakt hoch über braungrünem Elbwasser auf dem Gelände aufsetzten, stellte ich mir vor, ich könnte Patricks untreues Fleisch unter den Sohlen spüren.
    Chuck und Zebra brauchten eine Weile, um die wimmernde Betty über den Abgrund zu bugsieren. Widerstandslos drangen wir dann ins Parkhaus vor. Wir nahmen nicht die Serpentinen, sondern stiegen den gebogenen Tunnel hinauf, in dem einst die achtzig Meter lange Rolltreppe die Besucher aufwärtstragen sollte. Wir tauchten durch ein flirrendes Mosaik aus Glaspailletten, standen plötzlich vor dem Panoramafenster, tief unter uns Hafen und Landungsbrücken.
    Aus allen Fenstern war das Wasser zu sehen. Die nackten Betonwände hatten die getöpferte Roheit der Villa Malaparte. Ichsah die Treppen, die Röhren, das beständige Auf und Ab. Es war eine stabile Konfrontation von Oben und Unten; wie im Himmel, wie im Leben; wie auf der Landzunge des Mister Prokosch.
    Über einen weiteren Tunnel erreichten wir die Plaza. Erschüttert stand ich vor dem Übermaß des Raums, der sich jetzt, ohne die Feiergemeinde, ungestört ausdehnte.
    »Viertausend Quadratmeter«, sagte ich stolz. »So groß wie der Rathausmarkt.«
    »Dann ist das ja wie draußen«, mäkelte der unbestechliche Chuck.
    Aber ich sagte nur: »Das ist noch besser.«
    Chuck und Zebra blieben am Ausgang des Tunnels stehen, den Betty noch schnaufend und immer wieder abrutschend hochstakte. Schmiddel, Zork und Paul begannen, mit kräftigen Schritten das Gelände zu erkunden. Unbeeindruckt stemmten sie die Arme gegen die massigen, schrägen Säulen, standen, Fäuste in den Hüften, unter den riesigen Fensterbögen. »Und wer bezahlt das mal wieder«, meckerte Zebra. »Und für wen wird das mal wieder gebaut.«
    »Für uns«, sagte ich und boxte Zebra freudig auf den Oberarm.
    Im Großen Konzertsaal stiegen wir die steilen Sitzreihen hoch, kletterten von Terrasse zu Terrasse. »Wie in einem Weinberg«, zitierte ich den Katalog, und Zork sah sich durstig um. Paul prüfte die Akustik mit einem Vogelruf, Kohlammer oder Neuntöter. »Japanisches Klangdesign«, sagte ich stolz. »Da war ein Meister seines Fachs am Werk.«
    Von Stockwerk zu Stockwerk wuchs mein Triumph. Im neunten Stock kletterten wir über Paletten und Packen vonDämmwolle. Im Hoteltrakt empfing uns ein Hüttendorf aus Badezimmern, verpackt in Pressspan und Dämmwolle. »Rohre und Leitungen sind schon installiert«, stellte ich fest. »Was will man mehr.«
    Durch einen schmalen Ausgang traten wir hinaus aufs Dach. Vor uns wogte ein Gebirge aus weißem Beton; es sah aus wie eine Ansammlung spitzer, schneebedeckter Gipfel. Holzlatten markierten den Aufstieg; Stufen ins ewige Eis. Ich wollte hinaufklettern. Ich wollte in die Höhe. Ich wollte die Krönung. Doch als ich Schmiddels abschätziges Gesicht sah, begnügte ich mich mit einem Foto.
    Das Penthouse erreichten wir im Aufzug. »Sechsundzwanzigster Stock – Fitnessraum«, verkündete der Lautsprecher. Wir durchmaßen das zukünftige Gym, erklommen eine letzte Treppe und standen in einer riesigen, geneigten Pyramide aus Glas, deren Rückwand mit Wellblech verkleidet war. Verstohlen beobachtete ich Schmiddel aus den Augenwinkeln; ich glaubte zu sehen, dass auch sein Atem tiefer ging.
    Von der Nordsee wälzten sich Containerschiffe heran. Ein Flugzeug mit Werbebanderole schwänzelte über den Himmel. Und unter uns lag Hamburg, schwoll dieser mächtige Strom, und es war, als könnten wir auf ihm gehen.
    Auf dem Horizont lag der letzte rote Streifen Tageslicht. Ich presste meine Nase an das fünf Meter hohe Glasdreieck, während neben mir Chuck, Betty, Paul und Zebra Ruhe bewahrten. Doch auch sie sahen wohl wie ich zum ersten Mal, was wir immer geahnt hatten; dass die Elbe kein Kanal ist, sondern

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