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Ueberdosis

Ueberdosis

Titel: Ueberdosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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vorbei zum hochgelegenen Intercity-Restaurant an der Domseite der Bahnhofshalle. Mit schleppenden Schritten erreichte er den Aufzug und drückte auf den Rufknopf. Er ignorierte die Treppe; er war zu müde. Nicht körperlich, sondern seelisch.
    Geplatzte Träume, sagte er sich. Das ist mein Leben. Ein Sammelsurium geplatzter Träume. Kein Wunder, daß mich Iris verlassen hat. Welche Frau will schon einen Mann, der ihr nichts weiter als eine Million geplatzte Träume zu bieten hat?
    Der Aufzug kam, und Laschke ließ sich nach oben tragen.
    Im Intercity-Restaurant war es angenehm warm, und der grünbraune, rhombisch gemusterte Teppichboden dämpfte seine Schritte. Laschke sah sich um. Rechts vom Eingang, an der breiten Fensterfront mit Blick auf den Bahnhofsvorplatz, die Domplatte und den Dom, war noch ein Tisch frei. Erleichtert seufzend zog er den durchweichten Mantel aus und nahm Platz. Einen Moment lang zögerte er, dann öffnete er den Aktenkoffer und sah hinein.
    Er preßte die Lippen zusammen.
    Das helle Innenfutter war dunkel vor Feuchtigkeit, und die Villenpark- Unterlagen wiesen große, häßliche Wasserflecke auf.
    Resignierend klappte er den Koffer wieder zu und stellte ihn unter den Tisch. Ein Blick hinaus in den grauen, regnerischen Tag ließ ihn frösteln.
    Was ich jetzt brauche, sagte er sich grimmig, ist ein Cognac. Mindestens. Ich sollte mich betrinken. Vielleicht ist es das Beste. Cognac trinken und alles vergessen, das Villenpark- Projekt, Iris, das Auto, das besenschrankgroße Büro in der Vohwinkler Kaiserstraße mit Blick auf die Schwebebahn, und vor allem die Schwebebahn selbst mit diesen plattnasigen Gesichtern an den Fensterscheiben. Das nervenaufreibende Quietschen der Schwebebahnzüge ist schon schlimm genug, aber diese Gesichter … Sie sind furchtbar, einfach furchtbar.
    »Sie wünschen?«
    Laschke schrak auf. Lautlos war eine Kellnerin an seinen Tisch getreten, eine hagere Frau Ende Vierzig, früh ergraut, mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen und vielen Fältchen um Mund und Augen. Sie hätte müde und verbittert gewirkt, wären diese Augen nicht gewesen, leuchtend blau und heiter wie ein wolkenloser Frühlingshimmel. Sie trug eine weiße Bluse und ein dunkelgrünes Schürzenkleid.
    Der heitere Ausdruck ihrer Augen gefiel Laschke.
    Gott, das war es, was er brauchte: Heiterkeit. Und natürlich einen Cognac; einen doppelten.
    Er bestellte, und die Kellnerin ging davon, stieg die kurze Treppe zu der zweiten, höher gelegenen Tischebene hinauf, die von dem runden, pavillonähnlichen Büfett aus Glas und Aluminium beherrscht wurde. Laschke sah ihr nach, bis sie hinter einer der großen Palmen verschwunden war, die dem Restaurant einen Hauch südländischen Charmes verliehen, und blickte dann wieder aus dem Fenster.
    Der Regen war stärker geworden und hatte die letzten Touristen von der Domplatte getrieben. Der Dom selbst war ein schiefergrauer Berg im Herbstgrau des verdämmernden Tages. Das Grau, der Regen, die menschenleere Domplatte – es deprimierte ihn. Er war froh, als die Kellnerin mit den heiteren Augen den doppelten Cognac servierte.
    Er stürzte ihn in einem Zug hinunter und signalisierte ihr, ihm einen neuen zu bringen. Sie hob leicht die Brauen, mißbilligend, wie er glaubte, aber ihre Mißbilligung kümmerte ihn nicht.
    Er dachte wieder an die fruchtlosen Verhandlungen mit Jung und den anderen Vertretern vom Investmentfonds, an ihre ironischen Kommentare über seinen Finanzierungsplan und über das Villenpark- Projekt an sich, Verhandlungen, wie er sie schon so oft geführt hatte, und wie so oft ohne Erfolg.
    Vielleicht ist die Zeit einfach noch nicht reif dafür, sagte sich Laschke. Vielleicht kommt das Projekt fünf oder sechs Jahre zu früh. Exklusive Wohnobjekte in vorzüglicher Lage, mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet – und streng von der Außenwelt abgeschirmt. Von privaten Sicherheitskräften rund um die Uhr bewacht, durch Videokameras und modernste Elektronik vor kriminellen Elementen geschützt. Eine Oase der Sicherheit für die Leute mit dem großen Geld und der großen Angst vor Terroristen, Kidnappern, Dieben und sonstigen Verbrechern. In Amerika sind diese security estates ein Riesenerfolg, aber in Amerika ist die Kriminalitätsrate auch höher. Noch. Wir hier in Europa, in Deutschland, hinken der Entwicklung immer ein paar Jahre hinterher, fünf oder sechs Jahre.
    Der Cognac kam, und Laschke trank.
    Aber ich kann keine fünf oder sechs Jahre mehr warten,

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