Ueberfall auf Skytown
fragte sie sich, ob sie vielleicht etwas sehr Wichtiges versäumt hatte. »Aber du bist unbesiegbar«, sagte Melissa nach einer Weile. »Das wäre schön«, antwortete Charity lächelnd. »Leider ist es nicht ganz so, fürchte ich.« »Du bist unbesiegbar«, beharrte Melissa in jenem Tonfall felsenfester Überzeugung, zu dem nur Kinder fähig sind. »Du gehörst zu den Himmelsbewohnern. Niemand kann ihnen etwas tun.« Das waren sehr interessante Informationen, fand Charity. Sie würde sich bei nächster Gelegenheit eingehender mit Melissa über dieses Thema unterhalten müssen. Jetzt aber sagte sie: »So lange wir oben am Himmel bleiben, vielleicht. Hier unten sind wir fast so verwundbar wie ihr.« Melissa runzelte die Stirn. Über diese Neuigkeit mußte sie nachdenken. Nach einer Weile sagte sie: »Aber der kleine Mann hat gesagt, daß ihr unbesiegbar seid. Ihr habt sogar die Götter bezwungen, die von den Sternen gekommen sind, um uns unsere Welt wegzunehmen.« »Der kleine Mann weiß anscheinend eine ganze Menge«, sagte Charity lächelnd. »Aber ganz so war es nicht. Im Grunde haben sie sich selbst besiegt. Wir haben nur ein bißchen nachgeholfen, am Schluß.« Sie hatten das Ende des Stollens erreicht. Vor ihnen lag jetzt wieder der U-Bahn-Tunnel, in dem sich das Licht des Handscheinwerfers in wattiger Schwärze verlor. Irgend etwas war anders geworden. Charity konnte nicht sagen, was es war. Im Licht des Handscheinwerfers, das gespenstisch über den Boden wanderte, schien sich nichts verändert zu haben, und trotzdem war irgend etwas… nicht mehr so, wie es gewesen war. Charity spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten. Sie glaubte den Geschmack des Adrenalins regelrecht auf der Zunge zu spüren. Ihr Unterbewußtsein registrierte eine Gefahr, die sie noch nicht richtig fassen konnte, die aber irgend etwas in ihrem Inneren rebellieren ließ. Dann erkannte sie, was es war. Das Geräusch. Es war lauter geworden, und zugleich konnte sie viel mehr Einzelheiten identifizieren. Statt eines gleichförmigen Rascheins und Schabens hörte sie nun ein Konglomerat vollkommen unterschiedlicher und zugleich auch wieder ähnlicher Laute: Ein Rasseln und Trippeln, Klicken und Schleifen, Schieben und Schnappen, die sich zu einem wispernden, an- und abschwellenden Chor zu vereinen schienen, so als bewegte sich etwas kolossal Großes auf sie zu, das zugleich aber auch aus zahllosen, winzigen Einzelteilen bestand. Charity drehte sich nach links. Der Scheinwerferstrahl folgte der Bewegung, erreichte den Fuß der Schutthalde und begann sie zu erklimmen, und als er ihr oberes Ende erreicht hatte, sah Charity, wie der gesamte Trümmerberg sich von oben nach unten weiß zu färben begann und gleichzeitig zum Leben zu erwachen schien …Melissa und Walter schrien gleichzeitig auf und rannten davon; Charity starrte die heranwogende Insektenmasse noch eine halbe Sekunde voller kaltem Entsetzen an, ehe auch sie auf dem Absatz herumwirbelte und den beiden hinterherstürzte. Walter und das Mädchen rannten so schnell, daß Charity alle Mühe hatte, den beiden zu folgen. Und sie bewegten sich mit so traumwandlerischer Sicherheit, daß Charity schon nach Sekunden klar wurde, daß die beiden hier unten praktisch zuhause waren. Ihr Lichtstrahl hüpfte mit hektischen Bewegungen vor den beiden über den Boden, doch Charity bezweifelte, daß er nötig gewesen wäre. Sowohl Melissa, als auch Walter wichen Hindernissen oft genug aus, bevor sie im Licht auftauchten. Wie lange, um alles in der Welt, hatten die beiden und ihre Familien hier unten gelebt? Charity warf einen gehetzten Blick über die Schulter zurück. Die Wanzen hatten den Fuß des Schuttberges erreicht und begannen sich auf dem Tunnelboden auszubreiten. Sie bewegten sich nicht ganz so schnell wie Charity und die beiden anderen, aber auch nicht sehr viel langsamer. Und Charity war ziemlich sicher, daß diese Kreaturen keinerlei Erschöpfung kannten. »Wohin?« schrie sie. Melissa deutete heftig gestikulierend in die Dunkelheit vor sich. »Dort vorne! Der U-Bahnhof! Da geht es nach oben!« Hintereinander stürmten sie vielleicht zwei-, dreihundert Meter weit über die rostigen Geleise, dann wichen Melissa und Walter jäh nach rechts. Vor ihnen erhob sich eine anderthalb Meter hohe Betonmauer, über der sich die geborstenen Fliesen eines verlassenen U-Bahnhofs erstreckten. Melissa und Walter flankten praktisch hinauf, ohne langsamer zu werden. Charity folgte
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