Ueberfall auf Skytown
SWAT-Team«, sagte Charity. »Es ist buchstäblich im allerletzten Moment aufgetaucht. Zehn Sekunden später, und sie hätten nur noch unsere abgenagten Knochen gefunden.« »Aber sie sind doch noch rechtzeitig gekommen, oder?« »Ja«, antwortete Charity. »Gerade noch. Ich frage mich nur die ganze Zeit, ob sie vielleicht im allerletzten Moment erst eingegriffen haben, weil ihnen jemand befohlen hat, das zu tun.« Skudders Lächeln blieb unverändert, aber der Tonfall seiner Stimme war eher Spott als schlecht gespielte Empörung. »Aber Charity, ich bitte dich! Wer sollte denn so etwas tun?« »Vielleicht jemand, der mir einen Denkzettel verpassen wollte, weil er der Meinung ist, daß ich zu große Risiken eingehe.« Skudder lächelte unerschütterlich weiter, doch sein Tonfall veränderte sich und machte Charity klar, daß er diesmal die Wahrheit sagte. »So etwas würde ich niemals tun, Charity. Ich gebe zu, daß ich heute Morgen große Lust hatte, dir den Hintern zu versohlen, aber ich würde dich nie und nimmer in Gefahr bringen.« »Wenigstens nicht bewußt«, schränkte Charity ein.»Wenigstens nicht bewußt«, bestätigte Skudder ungerührt. »Und so weit ich mich erinnern kann, seit mindestens fünf oder sechs Jahren auch nicht mehr unbewußt.« »Da irrst du dich«, erwiderte Charity scharf. »Wenn du mich weiter wie ein Kleinkind behandelst, werde ich vor Langeweile sterben.« »Ich behandele dich so, wie du dich benimmst«, sagte Skudder ruhig. »Du bist kein Weltraum-Jockey mehr, Liebling. Du wirst nicht mehr dafür bezahlt, deinen Hals zu riskieren.« »Soweit ich mich erinnere, werde ich überhaupt nicht bezahlt«, sagte Charity, doch Skudder fuhr in unverändertem Tonfall fort. »Du hast diesen gesamten Planeten befreit. Du hast praktisch im Alleingang die Invasionstruppen eines galaktischen Imperiums geschlagen –« »Jetzt übertreibst du.« »Auf jeden Fall wäre es ohne dich nie so weit gekommen«, fuhr Skudder fort. »Die ganze Welt, jeder einzelne Mensch dort draußen, bewundert dich.« »Neunzig Prozent der Menschen dort draußen wissen nicht einmal, daß es mich gibt«, sagte Charity. »Aber sie werden es erfahren«, erwiderte Skudder ernst. »Für kommende Generationen wirst du so etwas wie eine Göttin sein. Die Frau, die Moron geschlagen hat! Du bist jetzt schon eine Legende! Glaubst du, du wirst noch berühmter, wenn du Kopf und Kragen riskiert, nur um ein paar Wanzen zu erschießen?« »Nein«, antwortete Charity. Sehr ruhig. Sehr leise. Sehr ernst. »Aber so habe ich wenigstens manchmal wieder das Gefühl, zu leben.« Skudder schwieg. Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden, und in seinen Augen war ein Ausdruck erschienen, den Charity nicht genau zu deuten imstande war, der sie aber irgendwie beunruhigte. Nach einer Weile fragte er: »So schlimm?« Charity antwortete nicht. Es war nicht das erste Mal, daß sie dieses Gespräch führten, und es würde nicht das letzte Mal sein. Und sie würden auch diesmal nicht zu einer Lösung kommen; vielleicht, weil dieses Problem einfach nicht zu lösen war. Das Schlimme ist, dachte Charity, daß wir beide im Recht sind, von unserem jeweiligen Standpunkt aus betrachtet. Skudder hatte vollkommen recht: Sie war keine x-beliebige Testpilotin in einer riesigen Organisation mehr, die vielleicht wichtig, aber trotzdem austauschbar war. Auf ihren Schultern lastete die Verantwortung für eine ganze Welt. Seit einigen Jahren hatte sie zwar Männer und Frauen wie Hartmann, Net, Harris und Dubois an ihrer Seite, die ihr immer mehr von dieser Verantwortung abnahmen, aber die Welt wuchs schneller, als sie die Aufgaben, die jeden Tag neu entstanden, delegieren konnte. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, eines würde sich nie ändern: Sie war eine Symbolfigur. Charity Laird, die Königin der Rebellen, die Retterin der Welt, Siegerin über die Moron und die Shait … Sie durfte ihr Leben nicht riskieren, nur weil ihr langweilig war. Die neue Weltordnung, die sie errichtet hatten, war ein sehr junges, sehr empfindliches Gebilde. Ihr Tod – noch dazu, wenn er sinnlos wäre – konnte ihm möglicherweise schweren Schaden zufügen. Nur: Tief in ihrem Inneren war Charity nichts von alledem. Sie war keine Heldin, sie war nicht mutig, und sie war schon gar nicht uneigennützig. Sie war ein ganz normaler Mensch, der ohne sein Zutun in eine Geschichte hineingeschlittert war und sich einfach nach Kräften gewehrt hatte.
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