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Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Titel: Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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die Wolkendecke. In der Ferne sah die Besatzung Lichter.
    »Ist das Guam?«, fragte der Bordingenieur. Nach einer Weile sagte er: »Es ist Guam, Guam.«
    Der Kapitän lachte leise. »Gut!«
    Der Erste Offizier meldete dem Tower, das Flugzeug habe die Kumuluswolken passiert, und bat um einen Radarleitstrahl für die
     Landebahn 6L.
    Damit begann der Anflug auf den Flughafen von Guam. Er wolle eine Sichtlandung durchführen, erklärte der Kapitän. Er war bereits
     acht Mal vom Flughafen Kimpo aus nach Guam geflogen, zuletzt einen Monat zuvor, und kannte den Flughafen und die Umgebung
     gut. Das Fahrwerk und die Landeklappen wurden ausgefahren. Um 1:41 sagte der Kapitän: »Scheibenwischer an«, und der Ingenieur
     führte den Befehl aus. Es regnete. Der Erste Offizier fragte: »Nichts zu sehen?« Er suchte die Landebahn und konnte sie nicht
     erkennen. Eine Sekunde später meldete sich die elektronische Stimme der Höhenwarnung: »500 Fuß«. Das Flugzeug befand sich
     160 Meter über dem Boden. Aber wie konnte das sein, wenn sie noch nicht einmal die Landebahn sehen konnten? Zwei Sekunden
     vergingen. Der Bordingenieur fragte mit erstaunter Stimme: »Eh?«
    Um 1:42 Uhr und 19 Sekunden sagte der Erste Offizier: »Führen wir einen Fehlanflug durch.« Das heißt, sie würden durchstarten,
     einen Bogen fliegen und erneut zur Landung ansetzen.
    Um 1:42 Uhr und 22 Sekunden wiederholte der Offizier: »Durchstarten.«
    Um 1:42 Uhr und 23 Sekunden sagte der Kapitän: »Durchstarten«, doch die Maschine war bereits zu langsam, um in Steigflug überzugehen.
    Um 1:42 Uhr und 26 Sekunden prallte das Flugzeug gegen die Flanke von Nimitz Hill, einem dicht bewaldeten Berg fünf Kilometer |161| südwestlich des Flughafens. Mit einer Geschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde bohrten sich 212 000 Kilogramm Stahl in
     den Felsen. Das Flugzeug rutschte noch 700 Meter weiter, durchtrennte eine Ölpipeline und riss zahlreiche Bäume um, ehe es
     eine Böschung hinunterstürzte und Feuer fing. Als die Rettungsmannschaft am Unglücksort eintraf, waren 228 der 254 Menschen
     an Bord tot.
    2.
    Zwanzig Jahre vor dem Unglück des Fluges KAL 801 verirrte sich eine Boeing 707 der Korean Airlines in den sowjetischen Luftraum,
     wurde über der Barentssee von einem sowjetischen Abfangjäger beschossen und zur Landung gezwungen. Es handelte sich um einen
     unglücklichen Zwischenfall, einen dieser äußerst seltenen Unfälle, wie sie jeder Fluggesellschaft zustoßen können. Man untersuchte
     das Ereignis, zog seine Schlüsse, lernte seine Lektionen und verfasste Berichte.
    Zwei Jahre später stürzte eine Boeing 747 der Korean Airlines in Seoul ab. Zwei Unfälle in zwei Jahren sind kein gutes Zeichen.
     Drei Jahre später verlor die Fluggesellschaft eine weitere Maschine, als eine Boeing 747 in der Nähe der Insel Sachalin von
     russischen Kampfjets abgeschossen wurde. Dem folgten im Jahr 1987 der Absturz einer Boeing 707 über der Andamansee, zwei weitere
     Unfälle in Tripoli und Seoul im Jahr 1989 und schließlich ein Unglück im südkoreanischen Cheju im Jahr 1994. 23
    Um das Ausmaß dieser Unglücksserie zur verdeutlichen: Zwischen den Jahren 1988 und 1998 lag die »Verlustrate« der US-amerikanischen
     Gesellschaft United Airlines bei 0,27 pro Millionen Starts, das bedeutet, United verlor alle vier Millionen Flüge eine Maschine.
     Im gleichen Zeitraum hatte Korean Airlines eine Verlustrate |162| von 4,79 pro Millionen Starts und damit 17 Mal so viele Unfälle.
    Korean Airlines verzeichnete derart viele Abstürze, dass das National Transportation Safety Board, die Nationale Verkehrssicherheitsbehörde
     der Vereinigten Staaten, die das Unglück auf Guam untersuchte, sich gezwungen sah, ihrem Bericht einen Anhang über neue Unfälle
     der Fluggesellschaft beizufügen, die sich seit Beginn der Untersuchungen ereignet hatten: Eine Boeing 747 von Korean Air legte
     fast auf den Tag genau ein Jahr nach Guam am Flughafen Kimpo in Seoul eine Bruchlandung hin; acht Wochen später schoss eine
     Maschine auf dem koreanischen Ulsan Airport über die Landebahn hinaus; im März darauf rammte eine DC 83 am Flughafen Pohang
     eine Böschung, und einen Monat später stürzte eine Passagiermaschine der Gesellschaft über einem Wohngebiet von Shanghai ab.
     Hätte sich die Verkehrssicherheitsbehörde mit ihrem Bericht noch ein wenig Zeit gelassen, hätte sie einen weiteren Unfall
     anfügen können: Eine Frachtmaschine von Korean Air stürzte wenige

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