Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Minuten nach dem Start vom Londoner Flughafen Stanstead
ab, obwohl im Cockpit nicht weniger als 14 Mal ein Warnsignal ertönt war.
Im April 1999 beendeten Delta Airlines und Air France ihre Zusammenarbeit mit Korean Air. Kurz darauf verbot die US-Armee,
die mehrere Tausend Soldaten in Korea stationiert hat, ihren Angehörigen, mit der Gesellschaft zu fliegen. Die Federal Aviation
Administration, die Luftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten, stufte Südkorea in seiner Sicherheitsbewertung herab, und die
kanadische Verkehrssicherheitsbehörde informierte das Management von Korean Air, sie erwäge, die Überflug- und Landerechte
der Gesellschaft im kanadischen Luftraum zu widerrufen.
Mitten in dieser Kontroverse wurden die Ergebnisse einer unabhängigen Sicherheitsüberprüfung bei Korean Air anonym im Internet
veröffentlicht. Das Management der Fluggesellschaft wies den Bericht sofort als übertrieben und nicht repräsentativ zurück,
doch es war bereits zu spät, um den Schaden vom Ruf des Unternehmens |163| abzuwenden. Der Bericht beschrieb, wie Besatzungsmitglieder während des Auftankens und der Beladung neben der Maschine standen
und rauchten, und wie sie selbst während des Fluges im Cockpit rauchten. »Die Piloten lasen während des Fluges Zeitung«, hieß
es in dem Bericht. »Oft hielten sie die Zeitungen so, dass sie die Warnleuchten nicht sehen konnten.« Der Bericht schilderte
schlechte Moral und zahlreiche Verstöße gegen genormte Abläufe. Er kam zu dem besorgniserregenden Schluss, die Ausbildungsstandards
für die Boeing 747 »Klassik« seien derart schlecht, »dass erhebliche Zweifel bestehen, ob ein Erster Offizier der Klassiker-Flotte
im Falle eines Ausfalls des Piloten in der Lage ist, eine Maschine zu landen.«
Nach dem Unglück in Shanghai sah sich der koreanische Präsident Kim Dae-jung zu einer Stellungnahme genötigt. »Das Thema Korean
Air ist nicht nur die Angelegenheit eines einzelnen Unternehmens, sondern der gesamten Nation. Die Glaubwürdigkeit unseres
Landes steht auf dem Spiel.« Daraufhin wechselte Daejung selbst von Korean Air zur neuen Konkurrenzgesellschaft Asiana.
Doch dann ereignete sich ein kleines Wunder. Korean Air schaffte die Wende. Heute ist die Fluggesellschaft ein Mitglied der
Allianz SkyTeam. Seit 1999 ist die Sicherheitsbilanz des Unternehmens tadellos. Im Jahr 2006 erhielt Korean Air den Phoenix
Award der Zeitschrift
Air Transport World
in Anerkennung für diese Leistung. Heute gehört Korean Air nach Ansicht von Experten zu den sichersten Fluggesellschaften
der Welt.
In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit Flugzeugabstürzen: Wir hören Flugschreiber ab, studieren Flugberichte, begutachten
Wetter-, Boden- und Flughafenbedingungen und vergleichen das Unglück von Guam mit ähnlichen Katastrophen, um zu verstehen,
wie es das Unternehmen schaffte, sich von einem »Überflieger« im schlechtesten Sinne des Wortes zu einer der besten Fluggesellschaften
der Welt zu mausern. Es ist eine komplizierte und oft merkwürdige Geschichte. Doch letztlich geht es um einen ganz |164| einfachen Sachverhalt, dem wir bereits in der Geschichte von Harlan und den Studenten der University of Michigan begegnet
sind. Die Fluggesellschaft Korean Air schaffte die Wende erst, als sie die Bedeutung ihres kulturellen Erbes anerkannte.
3.
Im wirklichen Leben verlaufen Flugzeugabstürze selten so wie im Film. Kein Triebwerk explodiert mit lautem Knall, kein Höhenruder
reißt beim Start plötzlich ab und kein Kapitän ruft »Mein Gott!«, während er in den Sitz geschleudert wird. Die Passagierflugzeuge
der kommerziellen Fluggesellschaften sind heute so verlässlich wie ein Toaster. Flugzeugkatastrophen sind vielmehr das Ergebnis
einer fatalen Verkettung von kleineren Schwierigkeiten und scheinbar belanglosen Defekten. 24
Bei einem typischen Absturz herrscht beispielsweise schlechtes |165| Wetter – nicht unbedingt ein Unwetter, aber schlecht genug, um dafür zu sorgen, dass der Pilot ein bisschen mehr Stress empfindet
als sonst. Bei erstaunlich vielen Unfällen hat das Flugzeug Verspätung und die Piloten haben es eilig. In 52 Prozent aller
Fälle sind die Piloten zum Zeitpunkt des Unfalls bereits zwölf oder mehr Stunden lang wach, das heißt, sie sind übermüdet
und nicht mehr in der Lage, sonderlich klar zu denken. In 44 Prozent der Fälle sind die beiden Piloten noch nie zusammen geflogen,
das heißt, sie gehen nicht
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