Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
äußerst untypisch. Er sieht auch nicht unbedingt so aus, wie man ihn sich für
ein Mädchen in ihrem Alter wünschen würde. Wir sind der Auffassung, dass Kinder Zeit zum Spielen, Träumen und Schlafen benötigen.
Marita dagegen trägt Verantwortung. Sie muss dieselbe schwierige Entscheidung treffen, der sich auch die koreanischen Piloten
stellen mussten. Um in ihrem Beruf erfolgreich zu sein, mussten diese einen Teil ihrer Identität aufgeben, da die für die
koreanische Kultur typische Hochachtung für höhergestellte Personen |234| im Cockpit eines Flugzeugs keinen Platz hat. Marita muss dieselbe Entscheidung treffen, denn auch ihr kulturelles Erbe passt
nicht zu ihren Lebensumständen – nicht, solange Familien der Ober und Mittelschicht die Wochenenden und Ferien nutzen, um
ihre Kinder zu fördern. Die Gemeinschaft, in der sie lebt, gibt ihr nicht das, was sie benötigt. Daher muss sie für die KIPP-Academy
ihre Abende, ihre Wochenenden und ihre Freunde opfern.
Noch einmal Marita mit einer Beschreibung, die einem das Herz brechen kann:
Also, als ich in die fünfte Klasse gekommen bin, hatte ich noch Kontakt zu einer Freundin von meiner alten Schule. Wenn ich
freitags nach der Schule nach Hause bin, dann bin ich immer zu ihr und bin dageblieben, bis meine Mama von der Arbeit nach
Hause gekommen ist. Meine Freundin hat nie Hausaufgaben gehabt. Und sie hat immer zu mir gesagt: »Mein Gott, du hast so viel
Schule!« Sie hat gesagt, sie will auch aufs KIPP, aber dann hat sie gesagt, das KIPP ist so schwer und sie will doch nicht.
Ich habe ihr immer gesagt: »Alle behaupten, das KIPP ist so schwer, aber wenn du dich erst mal dran gewöhnst, ist es gar nicht
schwer.« Aber sie hat gemeint, »Aber du bist ja auch intelligent«. Und dann hab ich zu ihr gesagt: »Nein, wir sind alle intelligent.«
Aber es hat sie abgeschreckt, dass die Schule bis 5 Uhr geht und wir so viel Hausaufgaben haben. Ich habe ihr erklärt, die
vielen Hausaufgaben helfen uns, in der Schule besser zu sein, aber sie hat nur gesagt, das will sie gar nicht hören. Ich habe
jetzt nur noch Freunde vom KIPP.«
Die KIPP-Academy verlangt viel von einem zwölfjährigen Mädchen. Aber betrachten Sie die Situation aus Maritas Sicht. Sie hat
mit ihrer Schule eine Art Handel geschlossen. Sie steht jeden Morgen um viertel vor sechs auf, geht samstags zur Schule und
macht bis 11 Uhr abends Hausaufgaben. Im Gegenzug gibt die KIPP-Academy Kindern wie ihr die Chance, der Armut zu entkommen.
Die Schule sorgt dafür, dass 84 Prozent ihrer Schüler in Mathematik entweder so gut sind wie der landesweite Durchschnitt
oder besser. Aus diesem Grund bekommen 90 Prozent aller KIPP-Absolventen ein Stipendium für eine private High School und müssen
keine der trostlosen High Schools in der Bronx besuchen. Dank |235| dieses High-School-Abschlusses nehmen mehr als 80 Prozent aller KIPP-Absolventen später ein Studium auf – häufig sind sie
die ersten in ihrer Familie, die eine Berufsakademie oder eine Universität besuchen.
Ist das ein schlechtes Geschäft? Alles, was wir bislang in diesem Buch erfahren haben, belegt, dass Erfolg einen vorhersehbaren
Weg nimmt. Die Erfolgreichsten sind nicht diejenigen mit dem höchsten Intelligenzquotienten. Wenn dem so wäre, dann wäre Chris
Langan der neue Einstein. Erfolg ist auch nicht die Summe der Entscheidungen, die wir treffen, und der Anstrengungen, die
wir unternehmen. Erfolg ist vielmehr ein Geschenk. Ein Überflieger wird, wer Chancen bekommen hat – und wer die Fähigkeiten
und die Geistesgegenwart hatte, diese zu nutzen. Im Falle der Eishockey- und Fußballspieler waren es die im Januar Geborenen,
die größere Chancen hatten, in eine Auswahlmannschaft aufgenommen zu werden. Die Beatles hatten Hamburg. Bill Gates wurde
zum richtigen Zeitpunkt geboren und hatte in der Schule einen Computer zur Verfügung. Joe Flom und die Gründer von Wachtell,
Lipton, Rosen and Katz hatten gleich mehrere Chancen: Sie wurden zum richtigen Zeitpunkt geboren, und ihre Eltern hatten die
richtige Herkunft, weshalb sie 20 Jahre lang das Handwerk der feindlichen Unternehmensübernahmen erlernen konnten, ehe ihre
feinen Anwaltskollegen das Geschäft erkannten. Und die Fluggesellschaft Korean Air gab bei ihrer Sanierung ihren Piloten eine
Chance, dem Korsett ihres kulturellen Erbes zu entkommen.
Die Lehre, die wir aus alledem ziehen können, ist ganz einfach. Trotzdem wird sie
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