Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
in den Ferien nichts dazu. Die Ergebnisse der Kinder aus wohlhabenderen Familien steigen dagegen um erstaunliche
52,49 Punkte. Der Vorsprung der reichen Kinder gegenüber den armen lässt sich also vollständig auf das zurückführen, was diese
Kinder außerhalb der Schule lernen.
Was können wir daraus schließen? Es ist sehr gut möglich, dass dieser unterschiedliche Bildungserfolg eine Folge der unterschiedlichen
Erziehungsstile der Eltern ist, die wir in Kapitel 4 kennengelernt haben. Erinnern wir uns an den neunjährigen Alex Williams
aus Annette Lareaus Untersuchung. Seine Eltern glauben an »konzertierte Kultivierung«, sie nehmen ihn ins Museum mit, melden
ihn zu außerschulischen Kursen an und schicken ihn während der Ferien in ein Sommercamp, wo er zusätzlichen Unterricht erhält.
Wenn er sich zu Hause langweilt, stehen ihm jede Menge Bücher zur Verfügung, die er lesen kann, und seine Eltern sehen es
als ihre Verantwortung an, ihm einen aktiven Umgang mit seiner Umwelt beizubringen. Es ist also kein Wunder, dass Alex über
den Sommer seine Lese- und Mathematikkompetenz verbessert.
Anders Katie Brindle, das kleine Mädchen am anderen Ende der sozialen Leiter. Ihre Mutter hat nicht das Geld, sie ins Sommercamp
zu schicken, und sie hat keine Zeit, Katie nachmittags zu außerschulischen Kursen zu begleiten. Bei Katie zu Hause liegen
keine Bücher herum, die sie lesen könnte, wenn sie sich langweilt. Wahrscheinlich schaltet sie den Fernseher ein. Das heißt
nicht, dass sie nicht trotzdem ihre Sommerferien genießt, andere Kinder kennenlernt, draußen spielt, ins Kino geht und die
sorglosen Sommertage verlebt, von denen wir alle träumen. Doch dies trägt nicht |228| zu einer Verbesserung ihrer Lese- und Mathematikkompetenz bei, und jeder dieser sorglosen Sommertage lässt sie ein Stückchen
weiter hinter Alex zurückfallen. Alex ist vermutlich kein bisschen intelligenter als Katie, doch er arbeitet mehr. Während
Katie in den Sommerferien draußen spielt oder vor dem Fernseher sitzt, nutzt Alex diese Monate zum Lernen.
Alexanders Untersuchung lässt den Schluss zu, dass die Bildungsdiskussion in den Vereinigten Staaten in die falsche Richtung
geht. Sie dreht sich vor allem um Klassenstärken, Lehrplanreformen, Laptops für die Schüler und eine bessere finanzielle Ausstattung
der Schulen und geht grundsätzlich davon aus, dass die Schulen in entscheidenden Punkten versagen. Doch ein Blick auf die
zweite Tabelle, die zeigt, was in den Sommerferien passiert, belegt, dass die Schulen sehr wohl funktionieren. Für die Kinder
mit schlechteren schulischen Leistungen besteht das Problem vielmehr darin, dass es nicht genug Schule gibt.
Mit einer einfachen Berechnung zeigt Alexander, was passieren würde, wenn die Kinder aus Baltimore das ganze Jahr über zur
Schule gingen: Am Ende der Grundschule würden Kinder aus armen und reichen Familien nahezu dieselben Ergebnisse in Lesen und
Mathematik erzielen.
Plötzlich erscheinen die Ursachen für die Überlegenheit der ostasiatischen Kinder in Mathematik in einem völlig neuen Licht.
In ostasiatischen Ländern haben die Kinder nämlich keine langen Sommerferien. Warum auch? Eine Kultur, die der Ansicht ist,
der Weg zum Erfolg bestehe darin, an 360 Tagen im Jahr vor Sonnenaufgang aufzustehen, wird ihre Kinder kaum drei Monate lang
in die Sommerferien schicken. In den Vereinigten Staaten hat das Schuljahr im Durchschnitt 180 Tage. In Südkorea sind es dagegen
220 und in Japan sogar 243.
In einem der letzten internationalen Mathematiktests wurden die Teilnehmer gefragt, wie viele der Aufgaben aus Algebra, Analysis
und Geometrie aus Themenbereichen stammten, die sie bereits im Unterricht behandelt hatten. Japanische Zwölftklässler hatten |229| 92 Prozent der abgefragten Themen im Unterricht abgedeckt. Das ist das Ergebnis von 243 Schultagen im Jahr: Die Schüler haben
mehr Zeit zum Lernen und weniger Zeit zum Verlernen. Zwölftklässler aus den Vereinigten Staaten hatten dagegen nur 54 Prozent
der Themen bereits im Unterricht behandelt. Im Falle der sozial benachteiligten Kinder haben die Vereinigten Staaten kein
Schulproblem, sondern ein Ferienproblem, und genau dieses Problem wollen die KIPP-Schulen lösen. Sie holen die Lektionen des
Reisfeldes in die amerikanischen Innenstädte.
4.
»Der Unterricht beginnt um 7:25 Uhr«, erklärt David Levin, Leiter der KIPP-Academy in der Bronx. »Die Schüler beginnen
Weitere Kostenlose Bücher